Im letzten Blog-Beitrag haben wir einen Zwischenstand zu einem vorläufigen Entwurf der zentralen Regelungen zur E-Vergabe im Rahmen der kommenden Vergabeverordnung (VgV) veröffentlicht und hierbei Fragen aufgeworfen, die aus unserer praktischen Erfahrung bis zur abschließenden Regelung im Rahmen der neuen VgV erörterungswürdig erscheinen.
Ein Trend lässt sich bereits aus dem vorläufigen Entwurf in Abgleich mit den bereits in den Richtlinien enthaltenen Grundgedanken und Regelungen ableiten: Die (elektronische) Teilnahme an Vergabeverfahren soll einfacher und „barrierefreier“ werden. Alle für die Angebotsabgabe erforderlichen Informationen sollen direkt und frei zugänglich für jeden Bewerber verfügbar sein. Selbst der zwingende Einsatz einer (fortgeschrittenen oder qualifizierten) elektronischen Signatur bei der Einreichung elektronischer Angebote wird in Frage gestellt. Hierfür wird im Gegenzug nicht nur ein „anonymer“ Bewerberkreis sondern ggf. auch eine deutliche Absenkung der Rechtsverbindlichkeit der Angebote in Kauf genommen.
So ganz traut die EU aber dem Ansatz einer weniger formstrengen Kommunikation zwischen Vergabestellen und Bietern wohl selbst nicht: In einem bislang u.E. noch zu wenig beachteten Anhang IV der „klassischen“ EU-Vergaberichtlinie stellt sie daher harte Kriterien auf, die an Lösungen zur Unterstützung der elektronischen Kommunikation – mithin E-Vergabeplattformen – zu stellen sind. Während bislang für die nationalen Regelungen in Form des GWB und der VgV nur Entwürfe vorliegen, gelten jedenfalls die hier aufgestellten Anforderungen spätestens mit Ablauf der Umsetzungsfrist ab April kommenden Jahres.
Diese Anforderungen machen deutlich, dass es zukünftig mit einem einfachen „Download der Auftragsunterlagen aus der Homepage“ und der Entgegennahme von Angeboten via E-Mail nicht getan ist. Für (uns) E-Vergabeanbieter stellt der Anhang IV Kriterien auf, die für die E-Vergabe bzw. für E-Vergabeplattformen zu beachten sind.
Im Rahmen dieses Beitrags möchten wir Ihnen die Kriterien vorstellen und Ihnen Hinweise aus unserer Sicht geben, was in der Praxis und bei E-Vergabeplattformen hiernach beachtet werden sollte.
Anforderungen der EU an E-Vergabeplattformen
Der Anhang IV zur EU-Vergaberichtlinie beschreibt sieben Anforderungen, die an E-Vergabeplattformen zu stellen sind. So sollen solche (E-Vergabe-)Systeme gewährleisten, dass:
a) die Uhrzeit und der Tag des Eingangs der Angebote, der Teilnahmeanträge sowie der Pläne und Entwürfe genau bestimmt werden können;
b) es als sicher gelten kann, dass niemand vor den festgesetzten Terminen Zugang zu den gemäß der vorliegenden Anforderungen übermittelten Daten haben kann;
c) die Zeitpunkte der Öffnung der eingegangenen Daten ausschließlich von den ermächtigten Personen festgelegt oder geändert werden können;
d) in den verschiedenen Phasen des Vergabeverfahrens beziehungsweise des Wettbewerbs nur die ermächtigten Personen Zugang zu allen vorgelegten Daten – beziehungsweise zu einem Teil dieser Daten – haben;
e) nur die ermächtigten Personen Zugang zu den übermittelten Daten gewähren dürfen, und zwar erst nach dem festgesetzten Zeitpunkt;
f) die eingegangenen und gemäß den vorliegenden Anforderungen geöffneten Angaben ausschließlich den zur Kenntnisnahme ermächtigten Personen zugänglich bleiben;
g) es bei einem Verstoß oder versuchten Verstoß gegen die Zugangsverbote oder -bedingungen gemäß den Buchstaben b, c, d, e und f als sicher gelten kann, dass sich der Verstoß oder versuchte Verstoß eindeutig aufdecken lässt.
Anforderungen an die Lösungen
Für die Praxis ergeben sich aus dem Anhang sowie unterschiedlichen Entscheidungen der Vergabekammern in der Vergangenheit wichtige Hinweise für die E-Vergabe und Anforderungen an die E-Vergabeplattformen. Verkürzt zusammengefasst lässt sich sagen:
- Zukünftig müssen alle E-Vergabeplattformen für einen integrierten Prozess auch im Hinblick auf die Bekanntmachung über eine OJS eSender-Schnittstelle der EU verfügen und die Bekanntmachung nicht als „Datei-Upload“ sondern als „strukturierte Daten“ erfassen.
- Der Einsatz von E-Mails als Kommunikationsmittel bei Vergabeverfahren war, ist und bleibt (insb. im Hinblick auf die Angebotsabgabe) nicht empfehlenswert bzw. ist u.U. gar nicht zulässig (vgl. auch die Entscheidung der VK Bund zum Einsatz von E-Mails bei Vergabeverfahren sowie die u.a. Anforderungen).
- Die Bereitstellung von Vergabeunterlagen (und Nachsendungen) z.B. als bloßer Download auf der eigenen Homepage ist sowohl parallel zum Einsatz einer E-Vergabeplattform oder ersetzend mindestens vor dem Hintergrund der Anforderungen „mit Vorsicht zu genießen“.
Zu den Anforderungen des Anhangs IV im Einzelnen:
Zu lit. a): …die Uhrzeit und der Tag des Eingangs der Angebote, der Teilnahmeanträge sowie der Pläne und Entwürfe genau bestimmt werden können…
Bereits mit dem Abstellen auf die sichere Dokumentation des Zeitpunkts des Angebotseingangs ist der Einsatz etwa von E-Mail-Lösungen wohl nahezu ausgeschlossen. Moderne E-Vergabeplattformen (sollten) neben dem Zeitpunkt des Angebotseingangs zudem heute bereits mindestens die Zeitpunkte der Veröffentlichung sowie des Ein- und Ausgangs von Nachrichten im Rahmen der Bewerberkommunikation – etwa bei Nachfragen oder Nachsendungen – revisionssicher dokumentieren. Für den Eingang der Angebote bzw. Teilnahmeanträge empfiehlt sich zudem der Einsatz eines qualifizierten Zeitstempels.
Zu lit. b): …es als sicher gelten kann, dass niemand vor den festgesetzten Terminen Zugang zu den gemäß der vorliegenden Anforderungen übermittelten Daten haben kann…
Diese Forderung stellt insbesondere auf die Vertraulichkeit (und inzidenter auch Integrität) der Angebote und Teilnahmeanträge vor Ablauf der Angebotsöffnung ab, d.h., dass die Vergabeplattform technisch sicherstellen muss, dass vor Ablauf der Angebotsfrist bzw. der Submission für niemanden (!) ein Zugriff auf die elektronischen Angebote besteht.
Diese weite Formulierung dürfte auch unzweifelhaft Betreiber von E-Vergabeplattformen oder deren Systemadministratoren umfassen. Sicherstellen lässt sich diese Anforderung u.a. durch Einsatz eines Intermediärs und die getrennte Aufbewahrung von elektronischen Angeboten und den „Schüsseln“ zur Entschlüsselung der Angebote (bis zur Angebotsöffnung auf zwei getrennten Systemen sowie eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der Angebote).
Zu lit. c): die Zeitpunkte der Öffnung der eingegangenen Daten ausschließlich von den ermächtigten Personen festgelegt oder geändert werden können…
Übersetzen könnte man diese Anforderungen schlicht damit, dass das „Rollen- und Rechte“-Konzept der jeweiligen E-Vergabeplattform sicherstellen muss, dass nur berechtigte Personen zum entsprechenden Vergabeverfahren das „Recht“ erhalten, den Zeitpunkt der Angebotsfrist mit Veröffentlichung festzulegen oder zu ändern.
Zu lit. d): in den verschiedenen Phasen des Vergabeverfahrens beziehungsweise des Wettbewerbs nur die ermächtigten Personen Zugang zu allen vorgelegten Daten – beziehungsweise zu einem Teil dieser Daten – haben…
Die Regelung weitet die Anforderungen an ein Rollen- und Rechtekonzept über die Regelung des lit. c) hinaus auf die weiteren „Phasen“ des Vergabeverfahrens aus und verlangt neben einer Regelung des Zugangs zu Verfahren auch eine Differenzierung der Rechte nach Rollen je Phase der Ausschreibung.
Zu lit. e): nur die ermächtigten Personen Zugang zu den übermittelten Daten gewähren dürfen, und zwar erst nach dem festgesetzten Zeitpunkt…
Auch die Regelung zu e) stellt auf das Rechtekonzept ab und stellt klar, dass erst nach (!) Ablauf der Angebotsfrist bzw. mit Erreichen des Angebotszeitpunktes Zugang zu den eingegangenen Angeboten bzw. Teilnahmeanträgen bestehen soll und zwar nur für die „ermächtigten“ (also berechtigten) Personen der Vergabestelle oder beauftragte Projektanten.
Die E-Vergabeplattform muss also auch die Aufgabe übernehmen, die Angebote bis zum Erreichen des Angebots- oder Submissionstermins (technisch automatisiert) unter „Verschluss“ zu halten und nur solchen Nutzern zugänglich zu machen, die gemäß Rollen- und Rechtekonzept hinreichend autorisiert sind.
Zu lit. f): nur die ermächtigten Personen Zugang zu den übermittelten Daten gewähren dürfen, und zwar erst nach dem festgesetzten Zeitpunkt…
Mit der Anforderung nach lit. f) wird im Hinblick auf das oben bereits angesprochene Rollen- und Rechtemodell auf den Zeitpunkt nach Angebotsöffnung abgestellt. Einer der Zwecke der Regelungen ist offenkundig, die Vertraulichkeit der Angebote auch nach Angebotsöffnung sicherzustellen.
Zu lit. g): es bei einem Verstoß oder versuchten Verstoß gegen die Zugangsverbote oder -bedingungen gemäß den Buchstaben b, c, d, e und f als sicher gelten kann, dass sich der Verstoß oder versuchte Verstoß eindeutig aufdecken lässt.
Auch wenn E-Vergabeplattformen im Regelfall nicht die Aufgabe umfassender „Dokumentationsfunktionen“ im weiteren Sinne oder im Hinblick auf eine E-Vergabeakte zukommt und dies durch komplementäre Vergabemanagementsysteme erfolgen sollte, gibt diese Vorgabe das Mindestmaß der Dokumentationserfordernisse vor, die von einer E-Vergabeplattform bezogen auf Rechteeinstellungen und Zugriff auf einzelne Vergabeverfahren vorliegen müssen.
Folgeabschätzung und Vergleich zur vorherigen Regelung
Auch wenn wesentliche Anforderungen heute bereits unter korruptionspräventiven Gesichtspunkten bestehen und von uns entweder bereits umfassend berücksichtigt sind oder sogar noch vor der Umsetzungsfrist realisiert werden, hilft der Anhang IV Anwendern u.U. dennoch weiter, ein noch klareres Bild von den technischen Mindestanforderungen zu bekommen, die EU-seitig aufgestellt wurden.
Auch im Hinblick auf die Frage zum Einsatz der elektronischen Signatur ist der Vergleich mit der Vorläuferregelung interessant und ggf. erhellend. So findet sich im Anhang X zur vorherigen EU-Vergaberichtlinie (2004/18/EG) neben einigen vergleichbaren Regelungen, die so oder anders gefasst wurden, bereits unter lit. a) die Erforderlichkeit, dass eingesetzte E-Vergabeplattformen auch gewährleisten müssen, dass Angebote und Teilnahmeanträge mit einer Signatur i.S. einzelstaatlicher Vorschriften zur Signaturrichtlinie (1999/93/EG) versehen sein müssen, also hier nach Maßgabe des deutschen Signaturgesetzes. Dass diese Regelung ersatzlos gestrichen wurde, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die EU den Einsatz der Signatur für entbehrlich hält. Entfallen ist jedenfalls im Anhang auch die Anforderung, dass eine Angebotsöffnung nur bei „gleichzeitigem Tätigwerden ermächtigter Personen“ (Vier-Augen-Login) möglich sein soll.
Als E-Government-Lösungsanbieter halten wir mit unserer Software Vergabemarktplatz die technische Basis zur Realisierung von E-Vergabeplattformen unter Berücksichtigung der wesentlichen Standards, aber eben auch der o.g. Anforderungen vor. Für alle Auftraggeber, die keine eigene E-Vergabeplattform aufbauen oder betreiben wollen, stehen u.a. landesweite Installationen (z.B. in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz) zur Mitnutzung zur Verfügung. Für alle anderen bietet das Deutsche Vergabeportal (DTVP) eine sichere und einfach zu nutzende Lösung an: Ohne Mindestvertragslaufzeit und auf Grundlage einer transparenten Nutzungspauschale.
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