Da auch bei Einhaltung des aktuellen Zeitplans mit einem Abschluss der Vergaberechtsreform erst kurz vor Ablauf der Umsetzungsfrist zu rechnen ist, befassen wir uns als Lösungsanbieter im Bereich E-Vergabe natürlich schon heute mit den aktuellen Diskussionen und Entwürfen und beginnen diese z.T. bereits im Rahmen der Weiterentwicklung unserer Lösungen zu berücksichtigen.
Spannend für uns, genauso wie für alle Anwender von E-Vergabelösungen, ist daher auch der aktuelle Diskussionsstand. Im Hinblick auf die wohl zentralen Regelungen zum Einsatz „elektronischer Mittel bei der Kommunikation“ möchten wir Ihnen heute schon einen Stand aus (vorläufigen) Entwürfen vorstellen.
Zudem ziehen wir aus den vorliegenden Ansätzen aus unserer Sicht ein erstes Zwischenfazit und möchten einige Fragen aufzeigen, die uns diskussionswürdig erscheinen und mit denen wir uns in den kommenden Wochen im Rahmen weiterer Blog-Beiträge intensiver auseinandersetzen werden.
Regelungen zum Einsatz elektronischer Mittel bei der Kommunikation
- Für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten in einem Vergabeverfahren verwenden öffentliche Auftraggeber und Unternehmen elektronische Mittel.
- Öffentliche Auftraggeber übermitteln Bekanntmachungen mithilfe elektronischer Mittel an das Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, wobei das Übermittlungsdatum nachzuweisen ist.
- Öffentliche Auftraggeber geben in der Auftragsbekanntmachung oder der Aufforderung zur Interessenbestätigung eine elektronische Adresse an, unter der die Vergabeunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt abgerufen werden können.
- Bieter und Bewerber reichen ihre Angebote oder Teilnahmeanträge grundsätzlich in Textform nach § 126b BGB mithilfe elektronischer Mittel beim öffentlichen Auftraggeber ein.
- Die öffentlichen Auftraggeber prüfen im Einzelfall, ob zu übermittelnde Daten erhöhte Anforderungen an die Sicherheit stellen. Soweit es erforderlich ist, können die öffentlichen Auftraggeber verlangen, dass elektronisch eingereichte Angebote (und Teilnahmeanträge) mit einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur oder mit einer fortgeschrittenen elektronischen Signatur, die auf einem qualifizierten Zertifikat beruht, versehen werden. Die öffentlichen Auftraggeber müssen auch fortgeschrittene elektronische Signaturen und qualifizierte Zertifikate anderer Staaten akzeptieren.
- Öffentliche Auftraggeber können von jedem Unternehmen die Angabe einer eindeutigen Unternehmensbezeichnung sowie einer aktiven elektronischen Adresse verlangen (Registrierung). Für den Zugang zur Auftragsbekanntmachung und zu den Vergabeunterlagen darf der öffentliche Auftraggeber keine Registrierung verlangen. Eine freiwillige Registrierung ist zulässig.
Echte Überraschungen enthalten die Vorgaben nicht, wohl aber einige deutliche Änderungen im Vergleich zum aktuellen Prozess:
1. Bekanntmachungen müssen an das Amt für Veröffentlichungen elektronisch übermittelt werden
Gemeint ist hiermit aber nicht die Übersendung einer E-Mail mit dem Veröffentlichungsformular. Wie bislang auch, wird entweder von einer (zusätzlichen) direkten Erfassung der Bekanntmachung bei SIMAP ausgegangen oder von einer Übermittlung via Schnittstelle (mit OJS eSender-Zertifizierung), d.h., dass die eingesetzte Lösung über eine entsprechende zertifizierte Schnittstelle verfügen muss.
2. Angabe einer Internet-Adresse unter der die Vergabeunterlagen zu finden sind
Auch hier ergibt sich zunächst keine Änderung zum heutigen Prozess. Wer heute die Vergabeunterlagen elektronisch bereitstellt, muss in der Bekanntmachung die Internet-Adresse (der Vergabeplattform) angeben, unter der diese zu finden sind (auch wenn aktuell noch vorher eine Registrierung verlangt werden darf).
Durchaus diskussionswürdig scheint allerdings die Frage, wie konkret diese Adresse sein muss. Genügt ein Link auf die genutzte E-Vergabeplattform oder einem Bereich in der Homepage, unter der Bekanntmachungen mit weiteren Informationen ggf. auf Unterseiten zu finden sind oder müssen bereits auf der verlinkten Seite alle Informationen zu finden sein (sog. Deeplink)?
3. Registrierung ja oder nein?
Ausgehend von der Formulierung der EU-Vergaberichtlinie wurde die Frage, ob vor Zugriff auf die Vergabeunterlagen eine Registrierung zulässig sei, heiß diskutiert. Ausgehend vom aktuellen Entwurf ist dieser Aspekt recht eindeutig beantwortet: Eine Registrierung (als Hürde) vor einem Zugriff auf die Vergabeunterlagen ist unzulässig. Lediglich später (bei Angebotsabgabe) können die Angabe einer Unternehmensbezeichnung und einer aktiven (gültigen) E-Mail-Adresse verlangt werden.
Während dies wahrscheinlich für alle E-Vergabeplattformen eine Umstellung bedeutet, hat dies auch für die Öffentlichen Auftraggeber eine meist nicht gewünschte Folge: Für die Vergabestellen bedeutet dies nicht weniger, als dass bis zur Angebotsöffnung zukünftig von einem „anonymen“ Bewerberkreis ausgegangen werden muss.
4. Verzicht auf elektronischen Signaturen bei der E-Vergabe?
Der wohl drastischste Eingriff findet auf der Ebene der Angebotsabgabe statt: Statt wie bislang die qualifizierte oder fortgeschrittene elektronische Signatur zu verlangen, genügt für den Regelfall zukünftig die (elektronische) Textform nach § 126b BGB, für die kein Einsatz einer externen (zertifizierten) Signatur mehr erforderlich ist.
Wenn erhöhte Anforderungen an die Sicherheit zu stellen sind, können auch weiterhin die qualifizierte oder fortgeschrittene elektronische Signatur verlangt werden. Dieser Fall könnte jedoch bloße Theorie bleiben, wenn auch die Pflicht zur Akzeptanz (aller?) ausländischen Signaturen einerseits und die faktische Pflicht zur Überprüfung der Gültigkeit einer Signatur (vgl. auch das Urteil der VK Südbayern zum zwingenden Ausschluss bei ungültigen Zertifikaten (vgl. Beschl. v. 21.05.2015 – Z3-3-3194-1-08-02/15)) fortbestehen. Wenn die Vergabestelle sowohl (alle) ausländischen Zertifikate zulassen muss, jedenfalls bei den fortgeschrittenen Zertifikaten aber kaum eine Möglichkeit hat, diese zu überprüfen, wird die Entscheidung über die Anforderungen der bloßen Textform nach § 126b BGB hinauszugehen, u.U. stark eingeschränkt. Lediglich für Signaturen aus Europa besteht über sog. Vertrauenslisten die Möglichkeit einer Überprüfung. Eine Einschränkung auf „europäische“ Signaturen wäre hier sicher wünschenswert.
Bleibt es – wie geplant – bei einer Beibehaltung des Formerfordernisses der eigenhändigen Unterschrift bei postalisch übermittelten Angeboten, besteht sogar eine erfreuliche Privilegierung des elektronischen Wegs bereits vor Ablauf der „Schonfristen“.
5. Vorgaben für EU-weite Ausschreibungen weniger streng?
Ein für die Praxis u.U. bedeutendes Problem betrifft den Umstand, dass bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist mit einer Neufassung auch der Vergabe- und Vertragsordnungen für die Verfahren unterhalb der EU-Schwellenwerte nicht zu rechnen ist.
Faktisch würden damit die Anforderungen an den elektronischen Ablauf der Vergabeverfahren oberhalb und unterhalb der EU-Schwellenwerte, jedenfalls nach dem aktuellen Stand, deutlich auseinanderlaufen:
Bei EU-weiten Verfahren (nach erstem VgV-Entwurf): Direkter Zugriff auf Vergabeunterlagen ohne Registrierung („Holschuld“ der Bewerber, auch bezogen auf Nachsendungen bzw. Änderungen der Vergabeunterlagen), bloße Textform für Angebote genügt…
Bei nationalen Verfahren (nach aktuellem Stand VOL/A, VOB/A): „Bringschuld“ der Vergabestelle bzgl. Vergabeunterlagen (insb. bei Nachsendungen), fortgeschrittene oder qualifizierte elektronische Signatur erforderlich…
Die weitere Entwicklung und die anstehenden Diskussionen rund um den ersten Entwurf werden wir mit Interesse verfolgen und Sie im Rahmen unseres Blogs auf dem Laufenden halten.
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