Mit der E-Vergabe im Zuge der Umsetzung der neuen EU-Richtlinien haben wir uns im Rahmen unseres Blogs bereits mit verschiedensten Schwerpunkten auseinandergesetzt. Einer der bis heute meistgelesenen Beiträge in unserem Blog ist ein Gastbeitrag von Herrn Michael Wankmüller, Dipl. Verwaltungswirt und ehemaliger Mitarbeiter des zuständigen Referates für nationales und europäisches Vergaberecht im BMWi. Der Beitrag stellt nicht nur die E-Vergabe-spezifischen Regelungen der Richtlinie detailliert vor, sondert gibt auch einen fundierten Einblick in die Genese sowie die Bemühungen der EU der vergangenen 16 Jahre.
Umso mehr freuen wir uns, dass wir Herrn Wankmüller für einen Gastbeitrag zum aktuellen Entwurf der Novelle des 4. Teil des GWB gewinnen konnten.
Der Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien 2014 mit Blick auf die E-Vergabe
I. Einleitung
Gut zwölf Monate nach Inkrafttreten der neuen EU-Vergaberichtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates 2014/23/EU über die Konzessionsvergabe (KVR), 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe (VRL) und 2014/25/EU über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (SRL) vom 26.Februar 2014[1],
mit denen die Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates[2] überarbeitet und modernisiert worden sind, hob sich der Vorhang zum ersten Akt der Richtlinienumsetzung und gab den Blick frei auf das konkrete Ergebnis eines bisher gut behüteten Projektes, das durchaus den Charakter einer ministerialen Verschlusssache hatte.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat Ende April 2015 die Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergModG) eingeleitet, mit dem das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) geändert werden soll. Gleichzeitig wurden Länder, kommunale Spitzenverbände, Fachkreise und Verbände beteiligt. Dem Entwurf vorausgegangen war der Beschluss des Bundeskabinetts über die „Eckpunkte zur Reform des Vergaberechts“ vom 07. 01.2015. Nach Einschätzung des BMWi ist die bevorstehende Vergaberechtsmodernisierung das größte vergaberechtliche Rechtsetzungsverfahren der letzten 10 Jahre. Unmittelbar betroffen sind zunächst nur Vergaben ab der EU-Schwellenwerte. Der Referentenentwurf ist der erste Schritt in einem zweistufigen Verfahren der Gesetz- und Verordnungsgebung, mit dem insbesondere der Abschnitt 2 der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen –Teil A (VOL/A) und die Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) entfallen sollen. Im Zentrum steht jetzt die Novellierung des vierten Teils des GWB, mit der die Struktur des GWB neu überarbeitet wurde. Man war im BMWi der Ansicht, dass die wesentlich höhere Regelungsdichte und der größere Umfang der Richtlinien künftig deutlich mehr Vorgaben auf gesetzlicher Ebene erforderlich machen als bisher und es dazu keine Alternative gibt.
II. Neue Gliederung im Teil 4 des GWB
Der überarbeitete vierte Teil des GWB umfasst künftig die wesentlichen Vorgaben zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen. Diese schließen insbesondere die allgemeinen Grundsätze des Vergaberechts, den Anwendungsbereich, die Vergabearten, die grundsätzlichen Anforderungen an Eignung und Zuschlag, Ausführungsbestimmungen, die Gründe für den Ausschluss von einem Vergabeverfahren, die Anforderungen an die Selbstreinigung von Unternehmen und die neuen Vorgaben der EU-Vergaberichtlinien für die Kündigung sowie die Änderungen von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen während der Laufzeit ein. Um die praktische Anwendung des Gesetzes zu erleichtern, ist man der Auffassung, den Ablauf der Vergabeverfahren von der Leistungsbeschreibung über die Prüfung von Ausschlussgründen, die Eignungsprüfung, den Zuschlag bis hin zu den Bedingungen für die Ausführung des Auftrags erstmals im Gesetz vorzuzeichnen. Daher wurde die Gliederung des Teils 4 des GWB um die Ebene der Kapitel ergänzt.
Im ersten Kapitel finden sich nun Regelungen zu den Vergabeverfahren (§ 97 bis 154 GWB-E), im zweiten Kapitel solche zum Nachprüfungsverfahren (§ 155-184 GBWB-E). Innerhalb des Kapitels „Vergabeverfahren“ ist jetzt folgende Gliederung vorgesehen:
- Abschnitt 1: Grundsätze, Definition und Anwendungsbereich
- Abschnitt2: Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber mit den Unterabschnitten
- Anwendungsbereich
- Vergabeverfahren und Auftragsausführung
- Abschnitt3: Vergabe von öffentlichen Aufträgen in besonderen Bereichen und von Konzessionen mit den Unterabschnitten
- Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber
- Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen
- Vergabe von Konzessionen
In den Unterabschnitten des Abschnitts 3 hat man lediglich die jeweiligen Besonderheiten der einschlägigen Auftragsvergabe geregelt und ansonsten auf die Regelungen für öffentliche Auftraggeber bzw. auf die für sie geltenden Regelungen über Vergabeverfahren und Auftragsausführung (Abschnitt 2, Unterabschnitt 2) verwiesen.
Das Kapitel 2 „Nachprüfungsverfahren“ gliedert sich nun in folgende 3 Abschnitte:
- Nachprüfungsbehörden
- Verfahren vor der Vergabekammer
- Sofortige Beschwerde (vor dem Oberlandesgericht)
III. Regelungen zur E-Vergabe im GWB-Entwurf
Bekanntlich schreiben VRL und SRL die grundsätzliche Pflicht zur elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren vor. Zentrale Normen sind die Artikel 22 VRL und 40 SRL, die in ihren jeweiligen Absätzen 1 Satz 1 eine umfassende Pflicht der Mitgliedstaaten vorsehen, „die gesamte Kommunikation und den gesamten Informationsaustausch nach diesen Richtlinien unter Anwendung elektronischer Kommunikationsmittel zu gewährleisten“. Der Katalog der zulässigen Ausnahmen ist sehr restriktiv gehalten und sowohl konkret für die elektronische Angebotsabgabe[3], als auch insgesamt für alle Phasen des Vergabeverfahrens (im Einreichungsverfahren)[4] erschöpfend geregelt. Die KVR regelt hingegen, dass die Mitgliedstaaten oder Auftraggeber für alle Mitteilungen und für den gesamten Kommunikations- und Informationsaustausch unter den Kommunikationsmitteln „elektronisch, Post oder Fax, mündlich/telefonisch oder persönliche Abgabe (direkt)“ wählen können. [5] Allerdings beinhaltet die KVR die Option, dass die Mitgliedstaaten die Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel für die Konzessionsvergabe auch verbindlich vorschreiben können.[6]
1. Grundsatz der verpflichtenden elektronischen Kommunikation für alle Vergaben im Oberschwellenbereich
Dieser Grundsatz der verpflichtenden elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren findet sich in § 97 Abs. 5 GWB-E. Die Regelung bestimmt, dass „für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten in einem Vergabeverfahren Auftraggeber und Unternehmen grundsätzlich elektronische Mittel verwenden (müssen)“. Normadressaten sind sowohl die (öffentlichen) Auftraggeber als auch – und das ist neu – die Unternehmen, die somit kraft Gesetzes zur elektronischen Kommunikation verpflichtet werden sollen.[7] Als Grundsatzregelung gilt dies für alle Vergaben im Oberschwellenbereich[8], somit – neben den Vergaben öffentlicher Aufträge durch öffentliche Auftraggeber und durch Sektorenauftraggeber – auch für Konzessionsvergaben und Vergaben von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen. Damit sind Ausnahmen wie zum Beispiel im Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/81/EG ebenso umfasst, wie die von den Richtlinien 2014/24/EU und 2014/23/EU vorgesehenen Übergangsfristen.[9] Während die Ausweitung der verpflichtenden elektronischen Kommunikation für Konzessionsvergaben über die optionale Regelung des Artikels 29 Abs. 1 UABs. 2 KVR abgedeckt ist, ergibt sich dies so nicht aus Artikel 36 der Richtlinie 2009/81/EG. Abgesehen davon, dass die Richtlinie 2009/81/EG vom Richtlinienpaket überhaupt nicht betroffen ist, kann die Informationsübermittlung und jede Mitteilung in diesen Fällen nach Wahl des Auftraggebers entweder per Post, per Fax, elektronisch oder durch Kombination dieser Kommunikationsmittel erfolgen.[10] Eine Öffnung/Erweiterung zugunsten eines verbindlichen Vorschreibens elektronischer Kommunikationsmittel im Vergabeverfahren durch die Mitgliedstaaten im Sinne der Options-Regelung nach Artikel 29 Abs. 1 UAbs. 2 KVR beinhaltet der Artikel 36 der Richtlinie 2009/81/EG nicht. Daher erscheint es fraglich, ob diese Öffnung/Erweiterung durch den nationalen Gesetzgeber zulässig ist.
In der Gesetzesbegründung wird zudem hervorgehoben, dass unter den Grundsatz der elektronischen Kommunikation insbesondere auch die „elektronische Erstellung und Bereitstellung der Bekanntmachung und der Vergabeunterlagen“ gehört. [11] Diese Sachverhalte sind nicht in den zentralen Normen der Artikel 22 VRL und 40 SRL, sondern durchgehend in allen Richtlinien in eigenen Artikeln geregelt.[12] Die Zusammenfassung dieser an unterschiedlichen Stellen der Richtlinien geregelten elektronischen Sachverhalte in einer Grundsatzregelung macht nur teilweise Sinn, da es sich gerade bei der elektronischen Erstellung und Bereitstellung der Vergabeunterlagen[13] um verpflichtende Regelungen zur elektronischen Ausgestaltung von Vergabeverfahren handelt, von denen auch Ausnahmen möglich sind. Keine Ausnahmen sind hingegen von der elektronischen Erstellung und Bereitstellung der Bekanntmachung vorgesehen, sodass eine Subsumtion dieses Verfahrensschritts unter eine Grundsatzregelung mangels Ausnahmeregelung nicht nachvollziehbar ist.
Bezüglich der weiteren Ausgestaltung des in § 97 Abs. 5 GWB-E postulierten Grundsatzes wird in der Gesetzesbegründung auf die künftigen Rechtsverordnungen verwiesen, die auf der Grundlage des § 113 Satz 2 Nummer 4 GWB-E erlassen werden sollen.
2. Besondere (elektronische) Methoden und Instrumente im Vergabeverfahren
§ 120 GWB-E liefert die Legaldefinitionen für dynamische elektronische Verfahren (Abs. 1), elektronische Auktionen (Abs. 2) und elektronische Kataloge (Abs. 3). Hierbei geht es um die in den Richtlinien geregelten fakultativen elektronischen Mittel, deren Anwendung nach Wahl der Auftraggeber erfolgt.
a) Dynamisches elektronisches Verfahren (DEV)
Während die Begriffe der elektronischen Auktion und des elektronischen Katalogs in den Richtlinien und im § 120 GWB-E identisch sind, unterscheidet sich der Begriff des DEV von dem des dynamischen Beschaffungssystems (DBS) in den VRL und SRL. Dieser Ansatz wurde vom Bundesgesetzgeber bereits im Zuge des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.4.2009 gewählt und im jetzigen GWB-E fortgeschrieben. Danach handelt es sich bei einem DEV „um ein zeitlich befristetes, ausschließlich elektronisches Verfahren zur Beschaffung marktüblicher Leistungen, bei denen die allgemein auf dem Markt verfügbaren Merkmale den Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers genügen“. Der in der Definition beschriebene Anwendungsbereich unterscheidet sich nicht von der Formulierung in den betreffenden Artikeln in den Richtlinien.[14] Die Erwägungsgründe setzen unmittelbarer an, indem sie von „marktüblichen oder gebrauchsfertigen Waren, Bauleistungen oder Dienstleistungen, die allgemein auf dem Markt verfügbar sind“ sprechen.[15] Nach der Gesetzesbegründung zu § 120 Abs. 1 GWB-E entspricht das DEV dem bisherigen § 101 Abs. 6 Satz 2 GWB und dient insofern der Umsetzung von Artikel 34 VRL und Artikel 52 SRL. Allerdings verzichtet die Definition auf den Hinweis, nach welchem Vergabeverfahren es ausgestaltet sein soll. Während das DEV nach § 101 Abs. 6 Satz 2 GWB als ein „offenes Vergabeverfahren“ bezeichnet wird, das sich bewusst vom Begriff des „offenen Verfahrens“ absetzte und damit als ein Verfahren „sui generis“ definiert wurde, verzichtet der jetzige GWB-E auf diesen Hinweis. Offensichtlich soll dies vor dem Hintergrund der in den Richtlinien erfolgten Modifikation des DBS näher in den Rechtsverordnungen geregelt werden. Im Unterschied zu dem DBS bisheriger Prägung sollen die Auftraggeber bei der Auftragsvergabe über ein DBS nicht mehr die Vorschriften für ein offenes, sondern für ein nichtoffenes Verfahren befolgen. Mit dieser Modifikation verspricht sich die EU-Kommission eine stärkere Nutzung dieses Verfahrens, da sich offensichtlich die in den bisherigen Verfahrensschritten der Artikel 33 Abs. 2 RL 2004/18/EG und 15 Abs. 2 RL 2004/17/EG vorgeschriebene Einholung von zunächst „unverbindlichen Angeboten“ als eine der größten Belastungen bei DBS erwiesen haben soll.[16] Es bleibt abzuwarten, ob das BMWi an dem bisherigen Ansatz eines Verfahrens „sui generis“ festhält, oder dieses ausschließlich elektronische Verfahren als gesondert ausgestaltetes nichtoffenes Verfahren im Sinne der Artikel 28 VRL bzw. 46 SRL regelt.
- Problem: Zulässigkeit des DEV bei evtl. verbleibendem Vorrang des offenen Verfahrens gem. Eckpunktebeschluss?
In diesem Zusammenhang von Bedeutung ist auch die Frage, ob die vorbehaltslose Wahlfreiheit öffentlicher Auftraggeber zwischen offenem und nichtoffenem Verfahren gem. § 119 Abs. 2 GWB-E Realität wird oder nicht. Demgegenüber steht nämlich die Absicht gem. Ziffer IV Nr. 1 des Eckpunktebeschlusses vom 07.01.2015, die Wahlfreiheit lediglich „unter dem Vorbehalt des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und des Wettbewerbs“ zuzulassen. Dieser im Zuge der Ressortabstimmung des Eckpunktebeschlusses nachträglich eingebrachte Vorbehalt läuft darauf hinaus, dass der bisherige Vorrang des offenen Verfahrens letztlich beibehalten werden soll, da das offene Verfahren zweifellos das wettbewerbsintensivste Verfahren im Vergleich zum nichtoffenen Verfahren darstellt, indem der öffentliche Auftraggeber eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen öffentlich zur Abgabe von Angeboten auffordert.[17] Demgegenüber werden im nichtoffenen Verfahren nach einem zwar transparenten Teilnahmewettbewerb nur eine beschränkte Anzahl von Unternehmen ausgewählt, die zur Abgabe von Angeboten aufgefordert werden.[18] Damit erfüllt das nichtoffene Verfahren zwar das Transparenzgebot wie beim offenen Verfahren, durch die Beschränkungsmöglichkeit der Anzahl der Unternehmen, die letztlich zur Angebotsabgabe aufgefordert werden, impliziert dieses Verfahren jedoch auch die Möglichkeit, den Wettbewerb zu beschränken. Nicht umsonst hat der deutsche Gesetzgeber unter Wettbewerbsgesichtspunkten bisher am Vorrang des offenen Verfahrens festgehalten, obwohl schon seit 1992/1993 die Wahlmöglichkeit zwischen offenem und nichtoffenem Verfahren bestand.[19] Umso erstaunlicher ist der jetzige Vorstoß des für die Wettbewerbspolitik zuständigen BMWi, unter dem Gesichtspunkt der „Aufwandsbegrenzung, Verfahrenseffizienz und verbesserter Erfolgsaussichten für die Bieter“ vom Vorrang des offenen Verfahrens abzuweichen und dies auch noch damit zu begründen, dass mit dieser Wahlfreiheit dem „Grundsatz des Wettbewerbs hinreichend Rechnung getragen wird“.[20] Wie dem auch sei, bleibt es beim Vorrang des offenen Verfahrens, hätte dies Auswirkungen auf die Zulässigkeit des DEV, wenn dieses Verfahren als nichtoffenes und nicht als Verfahren „sui generis“ geregelt wird. Der Hintergrund ist der, dass die Beschaffung marktüblicher Leistungen, für die das dynamische elektronische Verfahren ausschließlich vorgesehen ist, unter wettbewerblichen Gesichtspunkten vorrangig in offenen Verfahren zu beschaffen wäre, so dass die Wahl des DEV als gesondert geregeltes nichtoffenes Verfahren mit der Wahl der falschen Vergabeart verbunden wäre.
b) Elektronische Auktion
Nach der Gesetzesbegründung zu § 120 Abs. 2 GWB-E entspricht die Definition der elektronischen Auktion nach § 120 Abs. 2 GWB weitgehend dem bisherigen § 101 Abs. 6 Satz 1 GWB. Entsprechend Artikel 35 Abs. 1 UAbs. 2 VRL und Artikel 53 Abs. 1 UAbs. 2 SRL wird ergänzt, dass die elektronische Auktion als ein iteratives elektronisches Verfahren ausgestaltet ist, was im Normtext selbst als „ein sich schrittweise wiederholendes elektronisches Verfahren“ bezeichnet wird. Darüber hinaus wurde bestimmt, dass jeder elektronischen Auktion eine vollständige erste Bewertung der Angebote vorauszugehen hat. Ansonsten bleibt es dabei, dass die elektronische Auktion der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes dient und damit kein eigenständiges Vergabeverfahren, sondern lediglich ein methodischer Verfahrensschritt im Zusammenhang mit der Prüfung und Wertung der Angebote vor der Zuschlagsentscheidung gem. § 127 GWB-E ist.
c) Elektronischer Katalog
Neben dem bisher schon in § 101 Abs. 6 GWB definierten DEV und der elektronischen Auktion, erfolgt nunmehr auch die Definition des elektronischen Katalogs in § 120 Abs. 3 GWB-E. Obwohl der elektronische Katalog bereits in den Erwägungsgründen der Vorgängerrichtlinien – wenn auch eher beiläufig im Zusammenhang mit der Durchführung von Rahmenvereinbarungen oder DBS – als eine Angebotsform Erwähnung fand[21], widmen sich in VRL und SRL erstmals eigene Artikel diesem elektronischen Mittel. Während die neuen Richtlinien elektronische Kataloge nach wie vor als eine Angebotsform definieren, setzt die Definition nach § 120 Abs. 3 GWB-E interessanterweise bei der Leistungsbeschreibung an. Dies macht auch Sinn. Danach ist „ein elektronischer Katalog ein auf der Grundlage der Leistungsbeschreibung erstelltes Verzeichnis der zu beschaffenden Liefer-, Bau- und Dienstleistungen in einem elektronischen Format. Er kann insbesondere beim Abschluss von Rahmenvereinbarungen eingesetzt werden und Abbildungen, Preisinformationen und Produktbeschreibungen umfassen.“
Während die Gesetzesbegründung lediglich darauf hinweist, dass § 120 Abs. 3 GWB-E insofern der Umsetzung von Artikel 36 der Richtlinie 2014/24/EU sowie Artikel 54 der Richtlinie 2014/25/EU dient und den elektronischen Katalog definiert, erscheint eine nähere Betrachtung des leistungsbeschreibenden Ansatzes sinnvoll. Hierzu ist ein Blick in die Erwägungsgründe der Richtlinien erforderlich.[22] Danach bieten elektronische Kataloge „ein Format zur Darstellung und Gestaltung von Informationen in einer Weise, die allen teilnehmenden Bietern gemeinsam ist und die sich für eine elektronische Bearbeitung anbietet. Ein Beispiel wären Angebote in Form einer Kalkulationstabelle. Die öffentlichen Auftraggeber sollten elektronische Kataloge in allen verfügbaren Verfahren verlangen können, in denen die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel vorgeschrieben ist. Elektronische Kataloge tragen vor allem durch eine Zeit-und Geldersparnis zur Stärkung des Wettbewerbs und zur Rationalisierung der öffentlichen Beschaffung bei. Um sicherzustellen, dass bei der Verwendung elektronischer Kataloge sowohl die Richtlinien als auch die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz eingehalten werden, sollten bestimmte Regeln festgelegt werden. So sollte die Verwendung elektronischer Kataloge zur Einreichung von Angeboten den Wirtschaftsteilnehmern nicht die Möglichkeit eröffnen, sich auf die Übermittlung ihres eigenen Katalogs zu beschränken. Die Wirtschaftsteilnehmer sollten ihre allgemeinen Kataloge vor dem Hintergrund des konkreten Vergabeverfahrens nach wie vor anpassen müssen. Damit wird sichergestellt, dass der im Rahmen eines bestimmten Vergabeverfahrens übermittelte Katalog nur Waren, Bauleistungen oder Dienstleistungen enthält, die nach Einschätzung der Wirtschaftsteilnehmer, zu der sie nach einer aktiven Prüfung gelangt sind, den Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers entsprechen. Dabei sollten Wirtschaftsteilnehmer in ihrem allgemeinen Katalog enthaltene Informationen kopieren dürfen, jedoch nicht den allgemeinen Katalog als solchen einreichen dürfen.“
Der Wortlaut der zitierten Erwägungsgründe macht deutlich, dass nur der öffentliche Auftraggeber zu bestimmen hat, wie elektronische Kataloge als Angebotsform eingereicht werden dürfen, damit die Einhaltung der Leistungsanforderungen, die Vergleichbarkeit der angebotenen Leistung und die Gleichbehandlung aller Bieter gewährleistet werden. Um diesen beherrschenden Einfluss des Auftraggebers bezüglich der Verwendung elektronischer Kataloge sicherzustellen, muss die Definition am Beschaffungsgegenstand und dessen Beschreibung bzw. Spezifikation ansetzen. Insbesondere allgemeine elektronische Kataloge von Unternehmen, aus denen „Jedermann“ die jeweiligen Unternehmensprodukte bestellen kann, dürften nicht den Anforderungen an elektronische Kataloge bei der Vergabe öffentlicher Aufträge entsprechen. Wenn überhaupt, müssen diese Produkte den Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers entsprechen oder angepasst werden.
3. Ausweitung der Bestimmungen über elektronische Kataloge und DEV auf die Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträgen
Aufgrund der §§ 142, 147 GWB-E, mit denen auf die zusätzliche Geltung u.a. des § 120 GWB-E hingewiesen wird, sollen für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber und für die Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen auch die Bestimmungen für das DEV, die elektronische Auktion und den elektronischen Katalog gelten. Da diese besonderen Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren gleichermaßen in den Artikeln 34-36 VRL und 52-53 SRL geregelt sind, ist diese Regelung schlüssig und unproblematisch.
Problematisch ist diese unterschiedslose Regelung jedoch für die Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträgen, da die diesen Aufträgen zugrundeliegende RL 2009/81/EG – mit Ausnahme der elektronischen Auktion in Art. 48 dieser Richtlinie – keines der übrigen Methoden und Instrumente vorsieht. Während man den elektronischen Katalog noch als eine Form des Angebots auch im Sinne der RL 2009/81/EG interpretieren kann – so wie dies bisher auch ohne konkrete Regelung in den Richtlinien 2004/18/EG und 2004/17/EG erfolgte und praktisch angewandt wurde – erschließt sich diese Logik für das DEV nicht. Vielmehr stellt sich zunächst die Frage, in welchen Fällen das DEV bei der Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträgen überhaupt Anwendung finden könnte, da mit solchen Aufträgen keine marktüblichen Leistungen, bei denen die allgemein auf dem Markt verfügbaren Merkmale den Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers erfüllen müssen, beschafft werden. Reflexartig könnte man mit Blick auf verteidigungsspezifische Aufträge darauf schließen, dass sogenannte „dual use-Güter“ durchaus die Voraussetzungen der Marktüblichkeit erfüllen könnten, deren Beschaffung über ein DEV zulässig wäre. Bei „dual use-Gütern“ handelt es sich um Güter, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können. Diese Güter fallen jedoch nur dann unter den Begriff der „Militärausrüstung“ im Sinne dieser Richtlinie wenn sie eigens zu militärischen Zwecken konzipiert wurden und eventuell zusätzlich für zivile Zwecke verwendet werden können. Umgekehrt fallen zivile Produkte, die auch militärisch verwendet werden können, nur dann unter den Begriff der Militärausrüstung, wenn sie für militärische Zwecke besonders angepasst wurden. Maßgebend ist somit der Zweck der Herstellung. Zu vielen Zwecken konzipierte, nicht für militärische Zwecke modifizierte zivile Güter, sind –sofern sie keinen Verschlusssachenauftrag beinhalten – nach den allgemeinen Vorschriften des Vergaberechts zu beschaffen und entfallen somit der Richtlinie 2009/81/EG .[23] Damit dürfte der Anwendungsbereich für ein DEV für verteidigungsspezifische Aufträge mangels Marktüblichkeit, Marktverfügbarkeit und Gebrauchsfertigkeit der zu beschaffenden Leistungen nicht in Frage kommen. Gleiches dürfte auch für sicherheitsspezifische Aufträge gelten, bei denen es sich um Aufträge für Sicherheitszwecke mit geheimhaltungsbedürftigen Komponenten handelt, deren Leistungsgegenstand ebenfalls nicht den Anforderungen an Marktüblichkeit, Marktverfügbarkeit und Gebrauchsfertigkeit gerecht werden dürfte.
4. Ermächtigungsgrundlage für künftige Rechtsverordnungen
§ 113 soll die Bundesregierung ermächtigen, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die näheren Bestimmungen zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen zu regeln. Im elektronischen Kontext gehören hierzu die Regelung der besonderen Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren in Anknüpfung an § 120 GWB-E und der Einzelheiten des Sendens, Empfangens, Weiterleiten und Speicherns von Daten in Anknüpfung an § 94 Abs. 5 GWB-E.[24]
Die Gesetzesbegründung zu § 113 Satz 2 Nr. 3 GWB-E spricht zudem von der Befugnis zur Regelung der von den Richtlinien 2014/24/EU und 2014/25/EU vorgesehenen besonderen Methoden und Instrumente im Vergabeverfahren. Damit ist aber auch klargestellt, dass die Ausweitung der Bestimmungen über elektronische Kataloge und DEV auf die Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträgen nach der Richtlinie 209/81/EG (s. Kapitel III.3) nicht zum Ermächtigungsumfang i.S. des Artikels 80 Abs. 1 Grundgesetz gehört.
IV. Beschluss des Bundeskabinetts über Eckpunkte zur Reform des Vergaberechts vom 07.01.2015 (Eckpunktebeschluss) im elektronischen Kontext
Im Zusammenhang mit dem GWB-Entwurf und künftigen Überlegungen zur näheren Ausgestaltung der elektronischen Ansätze in Vergabe- und Sektorenverordnung sei noch ein Blick in den Beschluss des Bundeskabinetts zu den Eckpunkten zur Reform des Vergaberechts vom 7. Januar 2015 geworfen.
1. Rechtzeitige Wahrnehmung der Option zur Regelung längerer Umsetzungsfristen für die Einführung der elektronischen Kommunikation
Abschnitt IV Ziffer 10 umschreibt den Schwerpunkt, „Elektronische Kommunikation für das Vergabeverfahren nutzen“. In diesem Zusammenhang wird u.a. darauf hingewiesen, dass „die betroffenen Vergabestellen die längere Umsetzungsfrist für die Einführung der elektronischen Kommunikation voll ausschöpfen können, damit insbesondere kommunale Vergabestellen und kleine und mittlere Unternehmen den mit der Umstellung auf die elektronische Vergabe verbundenen beträchtlichen Aufwand bewältigen können“. Gemeint sind die in den Artikeln 90 VRL und 106 SRL als Option der Mitgliedstaaten genannten Fristen, bis zu denen insbesondere die verpflichtende Verwendung elektronischer Mittel im Vergabeverfahren nach den Artikeln 22 Abs. 1 VRL und 40 Abs. 1 SRL (E-Vergabe) von den Mitgliedstaaten aufgeschoben werden kann. Im GWB-Entwurf wurde diese Option bisher nicht wahrgenommen. Möglich ist, dass dieser Aufschub in den noch zur erwartenden Rechtsverordnungen geregelt wird. Sollte der Gesetz- oder Verordnungsgeber – wie bereits in der Vergangenheit öfter geschehen – die Richtlinien nicht zeitgerecht umsetzen bzw. die o.a. Option nicht zeitgerecht ziehen, würde dies bedeuten, dass ab dem 18. April 2016 für alle Vergabestellen die verpflichtende Verwendung elektronischer Mittel im Vergabeverfahren (E-Vergabe), die elektronische Ausstellung der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung gem. Artikel 59 Abs. 2 VRL und der verpflichtende Zugriff öffentlicher Auftraggeber auf das Online-Dokumentenarchiv (e-certis) gem. Artikel 61 Abs. 2 VRL bereits wirksam wird.
2. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung für den Einsatz der qualifizierten elektronischen Signatur im Vergabeverfahren und das deutsche Rahmenkonzept im Sinne der neuen Richtlinien[25]
Des Weiteren erfolgte im Zuge der Ressortabstimmung des Eckpunktebeschlusses der Hinweis im Abschnitt IV Ziffer 10, wonach „die Umstellung auf E-Vergabe für Bund, Länder und Kommunen eng durch den IT-Planungsrat begleitet wird“.
Bekanntlich steuert der IT-Planungsrat die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Informations- und Kommunikationstechnologie und im E-Government. Verfassungsmäßige Grundlage ist Artikel 91c Grundgesetz, wonach eine „föderale Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Planung, der Einrichtung und den Betrieb der für ihre Aufgabenerfüllung benötigen informationstechnischen Systeme“ geschaffen wurde.
a. E-Government-Gesetz
Zur Steuerung der föderalen Zusammenarbeit des IT-Planungsrates gehört auch die Umsetzung des Gesetzes zur Förderung der elektronischen Verwaltung (E-Government-Gesetz – EGovG),[26] Ziel dieses Gesetzes ist es, durch den Abbau bundesrechtlicher Hindernisse die elektronische Kommunikation mit der Verwaltung zu erleichtern. Das Gesetz soll dadurch über die föderalen Ebenen hinweg Wirkung entfalten und Bund, Länder und Kommunen ermöglichen, einfachere, nutzerfreundlichere und effizientere elektronische Verwaltungsdienste anzubieten. Dazu gehören auch Regelungen betreffend die Ersetzung der Schriftform durch andere technische Verfahren als die Qualifizierte elektronische Signatur (z.B. De-Mail und die elektronische Identifizierung (eID), insbesondere durch die eID des neuen Personalausweises). Das Gesetz enthält ferner Regelungen in verschiedenen Rechtsgebieten, in denen die Praxis gezeigt hat, dass zur Verbesserung und Erweiterung von E-Government-Angeboten Änderungen angezeigt sind. Hierunter fallen z.B. die Ergebnisse einer Abfrage des IT-Planungsrates nach bundesgesetzlichen Hindernissen für die elektronische Verfahrensabwicklung, die überwiegend die Abschaffung von Schriftformerfordernissen in Fachgesetzen betrifft. [27]
b. Nationale E-Government-Strategie
In der am 24. September 2010 vom IT-Planungsrat beschlossenen „Nationalen E-Government Strategie (NEGS) haben sich Bund, Länder und Gemeinden zum ersten Mal gemeinsam darauf verständigt, wie die elektronische Abwicklung von Verwaltungsangelegenheiten über das Internet weiterentwickelt werden soll. Mit dem von der Kooperationsgruppe Strategie erarbeiteten „Schwerpunktprogramm der NEGS, das vom IT-Planungsrat am 13. Oktober 2011 beschlossen wurde, konnte ein wesentlicher Meilenstein für die Realisierung der Strategie erreicht werden. Eine dieser im diesem Programm enthaltenen Schwerpunktmaßnahmen sind „Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für E-Government“, die koordinierende gemeinsame Aktivitäten von Bund, Ländern und Kommunen ohne expliziten Projektcharakter umfassen.
c. Normenscreening
Der Fokus liegt auf der Analyse und Verbesserung der rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen, wozu auch die Begleitung des sog. „Normenscreenings“ gehört. Normenscreening geht davon aus, dass angesichts der hohen Zahl von Schriftformerfordernissen in den Fachgesetzen zu vermuten ist, dass einige davon verzichtbar sind, so dass einfachere Formen elektronischer Kommunikation mit Behörden eingesetzt werden können. Im Gegensatz zur damaligen politischen Zielsetzung, nach Inkrafttreten der EU-Signaturrichtlinie 1999/93/EG im Jahr 2000 und deren Umsetzung in das SigG vom 16. Mai 2001, insbesondere der qualifizierten elektronischen Signatur zum Durchbruch zu verhelfen, verläuft die jetzige politische Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung, nämlich Abschaffung der Schriftformerfordernisse und damit Abschaffung der qualifizierten elektronischen Signatur in den Fachgesetzen.
d. Bisherige vergaberechtliche Zentralregelung „Schriftformerfordernis bei Angebotsabgabe“
Hier setzt die vergaberechtliche Betrachtung an. Bisher stellt die Vorgabe, wonach Angebote unterschrieben (§ 16 Abs. 1 VOL/A-EG, § 8 Abs. 5 Satz 1 VOF) bzw. unterzeichnet (§ 13 Abs. 1 Satz 2 VOB/A-EG) sein müssen eine zentrale vergaberechtliche Forderung dar, die als „Schriftformerfordernis“ (§§ 126, 127 BGB) sowohl Ausdruck des Bindungswillens an den Antrag/Angebot im Vertragsanbahnungsprozess als auch Beweisfunktion in Gerichtsverfahren hat. Als elektronisches Pendant wurde 2001 die qualifizierte elektronische Signatur (§§ 126a, 127 BGB, § 2 Nr. 3 Signaturgesetz -SigG) erst in der Vergabeverordnung – VgV (§ 15 VgV v. 9. Januar 2001, BGBl I 2001, S. 110), später in den „Verdingungsordnungen“ vergaberechtlich vorgeschrieben. Erst im Zuge der Richtlinienumsetzung der EU-Vorgängerrichtlinien in 2006 erfolgte wegen der fehlenden Akzeptanz für die Verwendung der qualifizierten elektronischen Signatur daneben die Zulassung der fortgeschrittenen elektronischen Signatur gem. § 2 Nr. 2 SigG. Im Unterschwellenbereich wurde für Freihändige Vergaben nach § 3 Abs. 5 Buchst. i) VOL/A (Bagatellbeschaffungen) auch die (einfache) elektronische Singnatur (§ 2 Nr. 1 SigG) für die Angebotsabgabe zugelassen.
e. Künftige Verhältnismäßigkeitsprüfung für die Festlegung des Sicherheitsniveaus im Vergabeverfahren
Im Zuge der jetzigen Richtlinienumsetzung haben die Mitgliedstaaten oder die öffentlichen Auftraggeber das für die elektronischen Kommunikationsmittel in den verschiedenen Phasen des jeweiligen Vergabeverfahrens erforderliche Sicherheitsniveau festzulegen, sofern sie innerhalb eines von dem betreffenden Mitgliedstaat festgelegten „Rahmenkonzepts“ handeln. Diese verpflichtende Verhältnismäßigkeitsprüfung muss zu einem Ergebnis kommen, ob das eingeschätzte Risikoniveau dergestalt ist, dass fortgeschrittene elektronische Signaturen im Sinne der Signaturrichtlinie 1999/93/EG, die sich auf ein qualifiziertes Zertifikat stützen (qualifizierte elektronische Signaturen i.S. des § 2 Nr. 3 SigG) erforderlich sind, die dann auch von allen öffentlichen Auftraggebern (in der Union) zu akzeptieren sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Signaturen bzw. deren Zertifikate in einer von der EU-Kommission geführten „Vertrauensliste“ geführt werden.[28] Damit soll als Resultat aus der in der Vergangenheit festgestellten mangelnden Interoperabilität qualifizierter elektronischer Signaturen im Binnenmarkt die wirksame grenzüberschreitende Verwendung qualifizierter elektronischer Signaturen gestärkt werden und zwar unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat der Unterzeichner oder der Zertifizierungsdiensteanbieter, der das qualifizierte Zertifikat ausstellt, niedergelassen ist.
Die Erwägungsgründe geben einen Hinweis darauf, welche Phasen in Abwägung zwischen einer erforderlichen Identifizierung der Absender von Mitteilungen einerseits und der Unversehrtheit von deren Inhalten oder anderen Problemen andererseits mehr oder weniger risikobehaftet sind. Dabei wird durchaus auf ein höheres Sicherheitsniveau bei der Übermittlung von Angeboten hingewiesen, im Vergleich zu beispielweise Kleinstwettbewerben gemäß einer Rahmenvereinbarung oder dem Zugang zu den Auftragsunterlagen, die nach einem niedrigeren Sicherheitsniveau verlangen.
Letztlich darf der Verordnungsgeber diese Fingerzeige der Richtlinien bei der künftigen Risikoabschätzung nicht außer Acht lassen. Es ist zwar richtig, dass die neuen EU-Richtlinien insbesondere keine qualifizierte elektronische Signatur im Vergabeverfahren vorschreiben (das haben aber auch die Vorgängerrichtlinien nicht getan), allerdings wollen sie die Verwendung von Signaturen auch nicht unterbinden. Vielmehr überlassen sie es den Mitgliedstaaten innerhalb ihres Rahmenkonzepts darüber zu entscheiden, ob und ggf. in welchen Phasen sie zum Einsatz kommen sollen.
f. Rahmenkonzept in Deutschland (E-Government-Gesetz – Nationale E-Government-Strategie –Normenscreening)
Was mit Rahmenkonzept gemeint ist, wird in den Richtlinien nicht näher definiert. Ob ein bloßer vergaberechtlicher Hinweis auf das Signaturgesetz genügt, der es den Vergabestellen nach subjektiver Risikoabschätzung freistellt, in jedem Einzelfall eine elektronische Signatur einzusetzen oder nicht, darf bezweifelt werden. Das SigG regelt zwar die Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen in Deutschland, es regelt jedoch nicht, in welchen Verwaltungsverfahren der öffentlichen Hand und in welchen Phasen des Verfahrens sie aus rechtlichen Gründen zum Einsatz kommen müssen. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei diesem Rahmenkonzept um einen „innerstaatlichen Konsens“ handeln muss, der kodifiziert, wie Verwaltungshandeln mithilfe elektronischer Mittel auszugestalten ist und welche rechtlichen und technischen Anforderungen dabei zu beachten sind. War dies bei der letzten Umsetzung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG die E-Government-Initiative BundOnline 2005, mit der seit 2001 alle internetfähigen Dienstleistungen der Bundesverwaltung ab 2001 bis zum Ende des Jahres 2005 im Internet bereitgestellt werden sollten (hierzu gehörte auch das damalige Leitprojekt der Bundesregierung „E-Vergabe“), stellen heute das EGovG sowie die vorgenannten Regelungsmechanismen unter dem Dach des IT-Planungsrates dieses Rahmenkonzept dar. Vor diesem Hintergrund haben der Nationale Normenkontrollrat und der IT-Planungsrat einen „E-Government-Prüfleitfaden“ erarbeitet, der eine systematische Prüfung von Regierungsentwürfen sowohl im Hinblick auf rechtliche Hindernisse als auch zur Identifizierung von Möglichkeiten zur Optimierung von Verwaltungsabläufen erlaubt. In diesem Sinne soll der Leitfaden zur Verbesserung der Rechtsetzung u.a. im Gesetzgebungs- bzw. Verordnungsgebungsverfahren zur Anwendung kommen. Der Prüfleitfaden enthält z.B. unter dem Titel 2.3 „Informationsübermittlung“ u.a. die zu beantwortende Frage, ob an die zu übermittelnden Daten, Dokumente oder Formulare des Regelungsentwurfs (Gesetz- oder Verordnungsentwurf) bestimmte rechtliche Formerfordernisse (z.B. Schriftform und/oder Identitätsnachweis) geknüpft sind und wenn ja, welche Funktion diese erfüllen müssen. Beispielsweise werden Beweisfunktion, Schutzfunktion und Beratungsfunktion im Zusammenhang mit der Fragestellung aufgeführt, wozu im vergabe- und vertragsrechtlichen Kontext aber auch die Frage nach der „Bindungsfunktion an die Willenserklärung eines Angebotes“ beantwortet werden müsste. Ziel dieser Frage ist, die Notwendigkeit der Formerfordernisse kritisch zu überprüfen. Es bleibt abzuwarten, zu welchen Ergebnissen der Verordnungsgeber im Zuge seiner Prüfungsobliegenheiten kommt.
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Fußnoten
[1] ABl. L 94 v. 28.3.2014
[2] ABl. L 134 v. 30.04.2004
[3] Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 VRL, Art. 40 Abs. 1 UAbs. 2 SRL
[4] Art. 22 Abs. 1 UAbs. 4 i.V. mit Erwägungsgrund 54 VRL, Art. 40 Abs. 1 UAbs. 4 i.V. mit Erwägungsgrund 65 SRL
[5] Art. 29 Abs. 1 KVR
[6] Art. 29 Abs. 1 UAbs. 2 KVR
[7] Gesetzesbegründung B. Besonderer Teil zu § 97 Abs. 5 Satz 2 GWB-E
[8] Gesetzesbegründung B. Besonderer Teil zu Kapitel 1 Abschnitt 1
[9] Gesetzesbegründung B. Besonderer Teil zu § 97 Abs. 5 Satz 3 GWB-E
[10] Art. 36 Abs. 1 RL 2009/81/EG
[11] Gesetzesbegründung B. Besonderer Teil zu § 97 Abs. 5 Satz 4 GWB-E
[12] „Form und Modalitäten der Veröffentlichung von Bekanntmachungen“ und „Elektronische Verfügbarkeit der Auftragsunterlagen/Konzessionsunterlagen“ > Art. 51 Abs. 2, Art. 53 VRL, Art. 71 Abs. 2, Art. 73 SRL, Art. 33 Abs. 2, Art. 34 KVR
[13] Resultierend aus Artikel 53 VRL, 73 SRL, 34 KVR (Elektronische Verfügbarkeit der Auftrags-/Konzessionsunterlagen)
[14] Art. 34 Abs. 1 VRL, Art. 52 Abs. 1 SRL
[15] Erwgrd. 63 VRL, 73 SRL
[16] Erwgrd. 63 VRL, 73 SRL
[17] Art. 27 Abs. 1 VRL „Bei einem offenen Verfahren kann jeder interessierte Wirtschaftsteilnehmer auf einen Aufruf zum Wettbewerb hin ein Angebot abgeben,“
[18] Art. 28 Abs. 1 VRL „Bei nichtoffenen Verfahren kann jeder Wirtschaftsteilnehmer auf einen Aufruf zum Wettbewerb hin einen Teilnahmeantrag (…) abgeben…….
[19] Art. 11 Abs. 4 RL 92/50/EWG v. 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, Art. 6 Abs. 4 RL 93/36/EWG des Rates v. 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Art. 7 Abs. 4 RL 93/37/EWG v. 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge
[20] Gesetzesbegründung zu § 119 Abs. 2 Abs. 2 und 4 GWB-E
[21] Erwgrd. 12 RL 2004/18/EG und 20 RL 2004/17/EG
[22] Erwgrd. 68 VRL und 77 SRL
[23] s. Mark Münch v. 11. Februar 2012 – Neues Vergaberecht für den Sicherheits- und Verteidigungsbereich – ein Überblick (Teil 1) im Vergabeblog (www.vergabeblog.de) s. auch Artikel 346 Abs: 1 lit. b) 2. Halbsatz des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Verbot der Beeinträchtigung der Wettbewerbsbedingungen auf dem Binnenmarkt für nicht eigens für militärische Zweck bestimmte Waren)
[24] § 113 Satz 2 Nr. 3 und 4 GWB-E
[25] Art. 22 Abs.. 6 lit. b) und c) VRL, Art. 40 Abs. 6 lit. b) und c) SRL
[26] E-Government-Gesetz vom 25. Juli 2013 (BGBl. I S. 2749)
[27] Minikommentar zum Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften (erstellt durch BMI, Referat O2)
[28] Art. 22 Abs. 6 lit.b) und c) VRL, Art. 40 Abs. 6 lit. b) und c) SRL
Zum Autor
Michael Wankmüller
Dipl. Verwaltungswirt Michael Wankmüller war als Mitarbeiter des zuständigen Referates für nationales und europäisches Vergaberecht BMWi mit dem Rechtsrahmen der elektronischen Auftragsvergabe befasst. Zuletzt war er maßgeblich mit der Reform der VOL/A 2009 betraut. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst befasst sich Herr Wankmüller mit aktuellen Fragen des Vergaberechts bis heute in Form von Seminarleitungen, Kommentierungen und Beratungen.