Dass die „Pflicht“ zur elektronischen Vergabe (kurz E-Vergabe) mit der Umsetzung der neuen EU-Richtlinien kommt, ist allgemein bekannt. Auch, dass es differenzierte Umsetzungsfristen für die elektronische Vergabe geben wird. Doch was bedeutet dies konkret für die Vergabestellen in Deutschland: Ab wann müssen die einzelnen Teilprozesse eines Vergabeverfahrens konkret elektronisch verfügbar sein? Ab wann müssen die Vergabeunterlagen in elektronischer Form bereitgestellt werden, ab wann elektronische Angebote entgegen genommen werden?

Für unseren Blog konnten wir Herrn Michael Wankmüller, Dipl. Verwaltungswirt und ehemaligen Mitarbeiter des zuständigen Referates für nationales und europäisches Vergaberecht im BMWi, gewinnen, auf Grundlage der heute im Amtsblatt veröffentlichten EU-Richtlinien einen Überblick und Ausblick zu geben, worauf sich Vergabestellen einstellen sollten.

Die elektronische Kommunikation im Vergabeprozess nach Maßgabe der neuen EU-Richtlinien

Einführung

Am heutigen Tag wurden die neuen europäischen Vergaberichtlinien im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht1.

Es handelte sich hierbei um die Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe (klassische Richtlinie), die Richtlinie 2014/25/EU über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (Sektorenrichtlinie) und erstmals die Richtlinie 2014/23/EU über die Konzessionsvergabe (Konzessionsrichtlinie). Die Richtlinien treten am 18.04.2014 in Kraft und sind innerhalb von 24 Monaten nach ihrem Inkrafttreten – somit spätestens zum 18.04.2016 – in nationales Recht umzusetzen. Mit Wirkung vom 18.04.2016 werden zudem die Vorgängerrichtlinien 2004/18/EG (klassische Richtlinie) und 2004/17/EG (Sektorenrichtlinie) aufgehoben.

Viele Aspekte und Änderungen der neuen gegenüber den aktuellen Richtlinien (für klassische Auftraggeber und Sektorenauftraggeber) und deren nationale Umsetzung werden bereits in der Fachwelt diskutiert. Der nachfolgende Beitrag befasst sich im Schwerpunkt mit der Frage, welche Auswirkungen die Richtlinien im Hinblick auf die elektronische Kommunikation haben und mit welchen Umsetzungszeitpunkten zu planen ist. Da die elektronischen Auswirkungen in der Konzessionsrichtlinie weniger umfassend sind und für den Kommunikations – und Informationsaustausch – mit Ausnahme der verpflichtenden elektronischen Bekanntmachung und der elektronischen Verfügbarkeit der Konzessionsunterlagen – lediglich die Wahlfreiheit zwischen elektronischen Mitteln, Post, Fax oder persönlicher Übermittlung festschreibt, konzentriert sich der Beitrag auf die klassische Richtlinie. In diesem Zusammenhang kann bereits jetzt schon gesagt werden: „Die verpflichtende elektronische Vergabe kommt bestimmt.“

Rückblick

Um zu verdeutlichen, dass die kommende verpflichtende elektronische Vergabe für öffentliche Auftraggeber kein Blitz aus heiterem Himmel ist, der einen nun vollkommen unvorbereitet trifft, muss man einen Blick in die Historie werfen. Es ist nun schon mehr als 16 Jahre (!) her, als die damaligen EG-Basisrichtlinien aus den Jahren 1992 und 1993 2 durch die Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.Oktober 19973 eine Ergänzung widerfuhren, die man in Deutschland (und auch in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft) als ersten Schritt in das Zeitalter der elektronischen Vergabe verstand, obwohl die maßgebliche Bestimmung der Richtlinie 97/52/EG den Begriff der „Elektronik“ überhaupt nicht erwähnte. Als wollte man in Brüssel zum damaligen Zeitpunkt den Begriff der „elektronischen Form“ wie den leibhaftigen „Gottseibeiuns“ lieber nicht beim Namen nennen, wurde die ursprüngliche Norm der EG-Basisrichtlinien, wonach „die Angebote schriftlich auf direktem Wege oder mit der Post übermittelt werden“, um den Zusatz ergänzt, dass die Mitgliedstaaten es zulassen können, die Angebote unter bestimmten Voraussetzungen4 auch „auf andere Weise“ zu übermitteln. Bekanntlich hat die Bundesregierung diese Option gezogen, indem sie in ebenso zurückhaltenden Form eine zentrale Regelung in der Vergabeverordnung aufnahm, wonach „….die Auftraggeber es zulassen können, dass die Abgabe der Angebote in anderer Form als schriftlich per Post oder direkt erfolgen kann, sofern sie sicherstellen, dass die Vertraulichkeit der Angebote gewahrt ist“ 5, wenn man so will, der vergaberechtliche „Urknall“ der e-Vergabe.

Danach tat sich auf europäischer Ebene lange Zeit nichts Wesentliches, wenn man einmal von einer Mitteilung der EU-Kommission zum öffentlichen Auftragswesen in der Europäischen Union vom 11. März 19986 absah, in der die Kommission „interessierte Auftraggeber und Anbieter sowie Firmen des IKT-Sektors und andere, insbesondere Euro Info Centers, zur aktiven Beteiligung aufrief, um die Entwicklung von Rahmenbedingungen für ein EU-weites elektronisches Auftragswesen zu fördern, in dem ein erheblicher Teil (beispielsweise 25 %) aller Beschaffungstransaktionen im Jahr 2003 elektronisch abgewickelt werden.“ Bekanntlich wurde dieses Ziel nicht erreicht.

Erst die Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG vom 31. März 20047 brachten die notwendige Gleichstellung der elektronischen Kommunikationsmittel mit den herkömmlichen Kommunikationsmitteln im Vergabeverfahren und die damit verbundene Wahlfreiheit für die öffentlichen Auftraggeber. Des Weiteren wurden wesentliche Grundsätze bzgl. der elektronischen Übermittlung von Informationen und Mitteilungen festgeschrieben, zu denen auch Teilnahmeanträge und Angebote gehören8. Ebenfalls neu im elektronischen Kontext waren die als Option (an die Mitgliedstaaten) ausgestalteten Regelungen zu den ausschließlich elektronischen Verfahren der elektronischen (inversen) Auktion und des dynamischen Beschaffungssystems, die von der Bundesregierung im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und teilweise in der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen – Teil A (VOL/A) umgesetzt wurden9.

Von nun an entwickelte sich die EU-Kommission zum „Dauertreiber“ in Sachen e-Vergabe. Wenige Monate nach Inkrafttreten der damals neuen Richtlinien erging am 29. Dezember 2004 der Vorschlag für einen Aktionsplan zur Umsetzung und Anwendung der Rechtsvorschriften über die elektronische Vergabe öffentlicher Aufträge 10, ein Programm mit mehr als 30 Initiativen, die innerhalb von 2 Jahren einen internationalen Rahmen für die elektronische Vergabe öffentlicher Aufträge schaffen sollten. Das politische Fernziel war ehrgeizig und sah für jedes Unternehmen in Europa mit einem PC und einer Internetverbindung die Möglichkeit vor, sich an einem online vergebenen öffentlichen Auftrag zu beteiligen.

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Ein weiterer Aktionsplan folgte eineinhalb Jahre später unter dem Titel „E-Government-Aktionsplan im Rahmen der i2010-Initiative: Beschleunigte Einführung elektronischer Behördendienste in Europa zum Nutzen aller11 Obwohl es bei diesem Aktionsplan in der Hauptsache um hunderte von öffentlichen E-Government-Dienstleistungen ging, die meist kommunal, regional oder national ausgerichtet waren, brauchte man sichtbare Schlüsseldienste mit grenzüberschreitendem Charakter als Vorreiterdienste, deren Einführungsschwerpunkt auf der durch breite Nutzung messbaren Wirkung statt bloßer elektronischer Zugänglichkeit liegen sollte. Hierzu zählte man auch die e-Vergabe insbesondere wegen des hohen Auftragsvolumens von 15-20% des Bruttoinlandprodukts. Und wieder einmal wurde eine Zielmarke gesetzt, wonach die EU-Kommission zusammen mit dem Mitgliedstaaten und den privaten Akteuren bis 2010 alle öffentlichen Verwaltungen in die Lage versetzen wollten, ihre gesamte Auftragsvergabe zu 100% elektronisch abzuwickeln und mindestens 50% der öffentlichen Aufträge oberhalb bestimmter Grenzwerte12 tatsächlich elektronisch zu vergeben.

Am 18.10.2010 erfolgte die Herausgabe eines „Grünbuchs zum Ausbau der e-Beschaffung in der EU13 , der die analysierten Hindernisse aufgrund einer von der EU-Kommission durchgeführten Untersuchung14 zum Anlass nahm, weitere Maßnahmen auf EU-Ebene vorzuschlagen. Der Duktus dieser Vorschläge vermittelte streckenweise den Eindruck einer genervten Kommission, die ihr Tremolo unheilschwanger über den zögerlichen Mitgliedstaaten schweben lässt. Mit ihrem Vorschlag „Beschleunigung der Einführung von e-Procurement mit Zuckerbrot und Peitsche15 erweckte die EU-Kommission verstärkt den Eindruck von einer wohlmeinenden Beraterin zum Wohle der Mitgliedstaaten zur „Domina der e-Vergabe“ zu mutieren. Auch die in diesem Zusammenhang erwogene Möglichkeit zur Verlagerung der Verantwortlichkeit für die Einhaltung bestimmter Rechts- oder Verfahrensvorschriften vom öffentlichen Auftraggeber auf ein „e-Procurement-System“ als „sicherer Hafen“ für verunsicherte und überforderte Vergabestellen, um diese durch die „rechtliche Entlastung“ zur schnelleren Einführung der e-Vergabe zu bewegen, ähnelte eher den Maßnahmen in der Finanzkrise, finanztechnische Risikoprodukte in sog. „Bad Banks“ zu verlagern, als einem seriösen Lösungsvorschlag. Dabei dürfte es doch unbestritten sein, dass ein elektronisches System in der Funktion eines „Vergabeautomaten“ es bislang nicht leisten kann, das Wissen um die Rechtsmäßigkeit des Handelns – insbesondere die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe – durch Algorithmen sicherzustellen16. Bekanntlich setzt die Richtlinie diese Idee auch nicht um.

Gegenstand des Grünbuchs waren verschiedene Fragen an die Mitgliedstaaten, u.a. die Frage „ob es das EU-Recht erlauben sollte, dass elektronische Verfahren für bestimmte, von EU-Richtlinien erfasste Beschaffungen verbindlich vorgeschrieben werden sollte“ 17. Die Bundesregierung erhob zwar Bedenken, räumte jedoch in ihrer Stellungnahme ein, „dass im Falle einer verpflichtenden Einführung der e-Beschaffung sowohl den öffentlichen Auftraggebern als auch den potenziellen Bietern eine Übergangsfrist gewährt werden müsste, in der für einen vertretbaren Zeitraum eine Angebotsabgabe parallel sowohl elektronisch als auch in Papierform durchgeführt werden kann.“ 18

Das Grünbuch zum Ausbau der e-Beschaffung in der EU sollte der erste Schritt in Richtung einer koordinierten, ambitionierten und umfassenden Überarbeitung des bestehenden Rechtsrahmens für das öffentliche Beschaffungswesen mit Vorschlägen zur Reform des einschlägigen EU-Rechts sein.

Als zweiter Schritt folgte ein weiteres Grünbuch zum Thema „Modernisierung des bestehenden EU-Rechtsrahmens für öffentliche Beschaffungen“ 19 und in Folge die drei in Frage stehenden Richtlinien.

Bereits am 20. April 2012 – also 24 Monate vor Inkrafttreten der neuen Richtlinien – erging eine weitere Mitteilung der EU-Kommission unter dem Titel „Eine Strategie für die e-Vergabe“ 20. Die Strategie bestimmte 15 mit Terminvorgaben versehene Leitaktionen, mit denen das Ziel einer vollständigen e-Vergabe bis Mitte 2016 erreicht werden sollte. Abschließend stellt die EU-Kommission fest, dass die Umstellung auf die vollständige e-Vergabe in erster Linie keine technische oder technologische Herausforderung, sondern eine wirtschaftliche und politische Herausforderung darstellt. Das dringende Ersuchen an die Mitgliedstaaten und an das Europäische Parlament, ein „klares politisches Signal der Entschlossenheit“ zu setzen, sollte insbesondere durch die Verabschiedung des Legislativpakets (Richtlinienvorschläge) zum öffentlichen Auftragswesen noch vor Ende des Jahres 2012 (!) erfolgen, damit die vollständige Umstellung auf e-Vergabe in der EU bis Mitte 2016 erfolgreich durchgeführt werden kann. Bekanntlich verschob sich die Verabschiedung des Legislativpakets durch den Rat und das Europäische Parlament um ca. 13 Monate21.

Vergabeverfahren

Die klassischen Vergabeverfahren stellen praktisch eine auf die Belange öffentlicher Auftraggeber ausgestalteten Verfahrensschritte im zivilrechtlichen Vertragsanbahnungsprozess (§ 145 ff. BGB) dar und lassen sich grob in fünf Teilprozesse mit einer Kommunikation „nach außen“ gliedern:

Schritt 1) Bekanntmachung

Die Bekanntmachung ist (bei EU-weiten) Vergaben im Amtsblatt S der EU (heute TED) zu veröffentlichen.

Schritt 2) Bereitstellung Vergabeunterlagen

Die Vergabe- bzw. Teilnahmeunterlagen sind an Bewerber zu übermitteln oder diesen bereitzustellen, die ihr Interesse an der Ausschreibung bekunden.

Schritt 3) Bewerberkommunikation

Bei vielen Vergabeverfahren ergeben sich Aufklärungsfragen der Bewerber, die von Seiten der Vergabestellen (diskriminierungsfrei) beantwortet werden müssen sowie die Benachrichtigung über nicht berücksichtigte Bewerbungen.

Schritt 4) Angebotsabgabe

Der zentrale Kommunikationsschritt im Vertragsanbahnungsprozess (§ 145 BGB).

Schritt 5) Bieterkommunikation

Sowohl im Rahmen der Prüfung und Wertung als auch nach der Angebotswertung ergeben sich Kommunikationsbedarfe zwischen Vergabestelle und Bieter, seien es Aufklärungsfragen der Vergabestelle an die Bieter oder die Nachforderung von Nachweisen bis hin zur Übermittlung der Mitteilungen nach § 101a GWB, Zusage- oder Absagemitteilungen wie z.B. die Benachrichtigung über nicht berücksichtigte Angebote und natürlich die Übersendung des Zuschlags.

Die Vorgaben der neuen EU-Richtlinie sollen im Hinblick auf diese fünf Verfahrensschritte abgeglichen und untersucht werden und die Änderungen gegenüber dem bisherigen Verfahren erläutert werden.

Zu beachten ist hierbei, dass die EU-Richtlinie eine maßgebliche Differenzierung zwischen den sog. „Zentralen Beschaffungsstellen“ einerseits und den übrigen Vergabestellen anderseits vorsehen. Hierbei darf der Begriff der „Zentralen Beschaffungsstellen“ allerdings nicht mit dem Begriff der zentralen Vergabestellen nach deutschem Verständnis verwechselt werden. Während national – und hier gerade bei den Kommunen – unter einer zentralen Vergabestelle meist eine Organisationseinheit verstanden wird, die die Vergabe für einen öffentlichen Auftraggeber intern bündelt, definiert die Richtlinie eine zentrale Beschaffungsstelle als einen „öffentlichen Auftraggeber“ der für „Dritte“ beschafft, d.h. für andere öffentlichen Auftraggeber bedarfsdeckend tätig wird (zentrale Beschaffungstätigkeit) oder diese bei seinen Beschaffungstätigkeiten unterstützt (Nebenbeschaffungstätigkeit)22. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang die Definition des öffentlichen Auftraggebers (Staat, Gebietskörperschaft, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände)23, kommt man zu dem Ergebnis, dass im EU-rechtlichen Sinne der „Dritte“, für den die Zentrale Beschaffungsstelle tätig wird, stets eine andere eigene Rechtspersönlichkeit besitzen muss, so dass zentrale Beschaffungstätigkeit durch Zentrale Beschaffungsstellen mit der Bildung von Einkaufskooperationen einhergeht. Da die öffentliche Hand nach herrschender Meinung als öffentlicher Auftraggeber zudem „Unternehmen“ im kartellrechtlichen Sinne ist, unterliegen Einkaufskooperationen zunächst einmal grundsätzlich dem Kartellverbot des § 1 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB); mögliche Freistellungen nach den §§ 2 und 3 GWB sind stets das Ergebnis einer Einzelfallprüfung. Auf diese kartellrechtliche Problematik soll an dieser Stelle jedoch nicht näher eingegangen werden.

Die Richtlinie räumt jedenfalls den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, zu regeln, dass öffentliche Auftraggeber Lieferungen und/oder Dienstleistungen von Zentralen Beschaffungsstellen erwerben dürfen, die zentralisierte Beschaffungstätigkeit anbieten. Im Folgenden wird daher zwischen den Zentralen Beschaffungsstellen und den übrigen Vergabestellen unterschieden.

Pflicht zur elektronischen Kommunikation und Umsetzungsfristen

Zentrale Norm ist Art. 22 der Richtlinie, der in Abs. 1 Satz 1 eine umfassende Pflicht der Mitgliedstaaten vorsieht, die gesamte Kommunikation und den gesamten Informationsaustausch nach dieser Richtlinie zu gewährleisten. In den Erwägungsgründen wird erläutert, dass diese elektronische Kommunikation alle Verfahrensstufen, einschließlich der Übermittlung von Teilnahmeanträgen und insbesondere die Übermittlung von Angeboten erfasst. Den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Auftraggebern wird zwar einerseits freigestellt, auf Wunsch hierüber hinauszugehen, die Richtlinie stellt jedoch andererseits klar, dass die internen Prozesse (z.B. Dokumentation, Auswertung des Teilnahmewettbewerbs und der Angebote) sowie die Kommunikation der Auftraggeber nicht von der Pflicht zur elektronischen Kommunikation erfasst sind24. Damit bleibt die aktuelle Richtlinie hinter früheren Entwurfsfassungen zurück, die diese Einschränkung nicht machten.

Des Weiteren werden in Art. 22 Abs. 1 Satz 2 die allgemeinen Anforderungen an die elektronischen Kommunikationsmittel festgelegt, die im Vergleich zu Art. 42 der noch geltenden Richtlinie 2004/18/EG dem Grunde nach unverändert geblieben sind (nichtdiskriminierend, allgemein verfügbar, kompatibel mit den allgemein verbreiteten Erzeugnissen der Informations- und Kommunikationstechnologie sowie Sicherstellung eines unbeschränkten Zugangs der Wirtschaftsteilnehmer zu den Vergabeverfahren).

Grundsätzlich bedeutet dies, dass alle o.a. fünf Teilprozesse elektronisch möglich sein müssen. Die Ausnahmen beschränken sich dem Grund nach auf die Fälle, in denen die vorgenannten allgemeinen Anforderungen aufgrund spezifischer Besonderheiten faktisch nicht erfüllbar sind (z.B. zwingende Verwendung besonderer Dateiformate, Nutzung spezieller Bürogeräte wie Großformatdrucker, physische Einreichung von Mustern und Modellen). Verbietet sich in Vergabeverfahren nach dieser Richtlinie aufgrund des Schutzes besonders sensibler Informationen die Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel i.S. des Art. 22 Abs. 1 Satz 2, kann auf herkömmliche Kommunikationsmittel zurückgegriffen werden, es sei denn, dieser Schutz kann auch durch spezielle, nicht allgemein zur Verfügung stehenden elektronische Kommunikationsmittel und -kanäle sichergestellt werden. Das heißt, selbst in diesen sensiblen Ausnahmefällen ist die klare Favorisierung der elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren erkennbar.

Die Umsetzungs- und Übergangsbestimmungen des Art. 90 sehen neben der bereits eingangs erwähnten allgemeinen Frist für die Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht von 24 Monaten nach Inkrafttreten gerade für die Anwendung des Art. 22 Abs. 1 die Möglichkeit vor, diese um +30 weitere Monate aufzuschieben bzw. um +12 Monate für Zentrale Beschaffungsstellen. Hiervon ausgenommen ist die Verwendung elektronischer Mittel in Bezug auf in die in Art. 90 genannten Ausnahmen wie dem dynamischen Beschaffungssystem (Art. 34), der elektronischen Auktion (Art. 35), elektronischen Katalogen (Art. 36) und eben auch für die elektronische Übermittlung der Bekanntmachungen an das Amt für Veröffentlichungen der EU (Art. 51 Abs. 2) sowie die elektronische Verfügbarkeit der Auftragsunterlagen (Art. 53).

Während drei dieser Ausnahmen die Anwendung der elektronischen Instrumente in das Ermessen des öffentlichen Auftraggebers stellt (Art. 34, 35, 36), wird die elektronische Verfügbarkeit der Auftragsunterlagen (Art. 53) zwingend vorgeschrieben und ist unter den dort geregelten Anforderungen heute noch keine Selbstverständlichkeit. Denn es wird gefordert, dass die öffentlichen Auftraggeber ab dem Tag der Veröffentlichung einer Bekanntmachung oder dem Tag der Aufforderung zur Interessensbestätigung unentgeltlich einen uneingeschränkten und vollständigen direkten Zugang anhand elektronischer Mittel zu diesen Auftragsunterlagen bieten müssen. Der Begriff der Auftragsunterlagen geht dabei über den deutschen Begriff der Vergabeunterlagen hinaus und umfasst insbesondere auch die Bekanntmachung25. Geschäftsmodelle, die insbesondere für die Bekanntmachung oder die Bereitstellung der Vergabeunterlagen bisher Entgelte verlangen, dürften demnach nicht mehr zulässig sein. Aus aktueller Sicht dürfte eine Registrierung zur Identifizierung der Bewerber vor Zugriff auf die Auftragsunterlagen gleichwohl notwendig erscheinen, um die Bewerber z.B. bei Änderungen an den Vergabeunterlagen sowie bei Bewerberfragen informieren zu können. Allerdings dürfte dies – streng genommen – dem allgemeinen Verständnis eines uneingeschränkten elektronischen Zugangs widersprechen. Wie dieses Problem gelöst wird, bleibt abzuwarten.

Art. 90 Abs. 3-5 sieht weitere Aufschubmöglichkeiten zur Nutzung elektronischer Instrumente vor, so um +24 Monate für die ausschließliche elektronische Ausstellung der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung (Art. 59 Abs. 2), +30 Monate für den verpflichtenden Zugriff öffentlicher Auftraggeber auf das Online-Dokumentenarchiv e-Certis (Art. 61 Abs. 2) und die gleichberechtigte Nutzbarkeit einer – sofern vorhanden – gebührenfreien nationalen Datenbank über Eignungsnachweise von Unternehmen (z.B. eine virtuelle Unternehmensakte) in einem Mitgliedstaat durch öffentliche Auftraggeber anderer Mitgliedstaaten (Art. 59 Abs. 5).

Hieraus ergibt sich – ausgehend vom Ende der Umsetzungsfrist (18. April 2016) – folgender vereinfachter Überblick über das, was auf die Vergabestellen jedenfalls im Hinblick auf EU-weite Vergabeverfahren zukommt und worauf sich diese einstellen sollten, sollte die Bundesregierung – was zu erwarten ist – die Option einer Aufschiebung ziehen.

Übersicht

Zum Autor

Michael Wankmüller

Michael Wankmüller
Michael Wankmüller war als Mitarbeiter des zuständigen Referates für nationales und europäisches Vergaberecht BMWi mit dem Rechtsrahmen der elektronischen Auftragsvergabe befasst. Zuletzt war er maßgeblich mit der Reform der VOL/A 2009 betraut. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst befasst sich Herr Wankmüller mit aktuellen Fragen des Vergaberechts bis heute in Form von Seminarleitungen, Kommentierungen und Beratungen.

Fussnoten

  1. ABl. L 94, S. 1, 65, 243 vom 28. März 2014
  2. RICHTLINIE 93/36/EWG DES RATES vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. L 199 vom 9.8.1993, S. 1)
    RICHTLINIE 93/37/EWG DES RATES vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öf-fentlicher Bauaufträge (ABl. L 199 vom 9.8.1993, S. 54)
    RICHTLINIE 92/50/EWG DES RATES vom 18. Juni 1992
    über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209 vom 24.7.1992, S. 1)
    RICHTLINIE 93/38/EWG DES RATES vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. L 199 vom 9.8.1993, S. 84)

  3. ABl. L 328 1 28.11.1997
  4. Vollständigkeit, Vertraulichkeit, fristgerechte Angebotsöffnung und gfl. schriftliche Bestätigung – sofern recht-lich erforderlich.
  5. § 15 VgV v. 9. Januar 2001, BGBl I 2001, S. 110
  6. Mitteilung der Kommission v. 11.03.1998 KOM(1998) 143 endg.
  7. ABl. L 134 vom 30. April 2004 (Richtlinie zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (sog. klassische Richtlinie)
  8. Art. 42 RL 2004/18/EG, Art. 48 RL 2004/17/EG
  9. § 101 Abs. 6 GWB, § 5 EG VOL/A
  10. Mitteilung der Kommission zur Umsetzung und Anwendung der Rechtsvorschriften über die elektronische Vergabe öffentlicher Aufträge, KOM(2004) 841 v. 29. Dezember 2004
  11. Mitteilung der Kommission v. 25.04.2006 (KOM(2006) 173 endgültig
  12. 50 000 Euro für einfache öffentliche Dienstleistungen und 6 Mio. Euro für öffentliche Bauaufträge
  13. KOM(2010) 571 endgültig
  14. Siemens time.lex Study on the evaluation of the Action Plan for the implementation of the legal framework for electronic procurement (Phase II) vom 9. Juli 2010
  15. KOM(2010) 571 endgültig, Kapitel 7.1.
  16. s. Laux im Vergabeblog vom 6. April 2011 „Kann ein Automat eigenständig rechtssichere Vergaben durchführen?“
  17. KOM(2010) 571 endgültig, Frage 5
  18. Stellungnahme der Bundesregierung vom 20. Januar 2011, Ziffer 5
  19. KOM(2011) 15 endg. Vom 27. Januar 2011
  20. COM(2012) 179 final vom 20. April 2012
  21. nach Annahme des Europäischen Parlaments und des Rates am 30. Januar 2014
  22. Art. 2 Abs. 14 – 16
  23. Art. 2 Abs. 1
  24. Erwgrd. 52
  25. Art. 2 Abs. 13: Auftragsunterlagen sind demnach sämtliche Unterlagen, die vom öffentlichen Auftraggeber erstellt werden oder auf die er sich bezieht, um Bestandteile der Auftragsvergabe oder des Verfahrens zu beschreiben oder festzulegen; dazu zählen die Bekanntmachung, die Vorinformation, sofern sie als Aufruf zum Wettbewerb dienen, die technischen Spezifikationen, die Beschreibung, die vorgeschlagenen Auftragsbedingungen, Formate für die Einreichung von Unterlagen seitens der Bewerber und Bieter, Informationen über allgemeine Verpflichtungen sowie sonstige zusätzliche Unterlagen.