Förmliche Vergabeverfahren bedeuten nicht nur für Vergabestellen erheblichen Aufwand, sondern auch für Bieter. Gerade bei sehr komplexen und großen Ausschreibungen stellt sich Unternehmen nicht nur im Hinblick auf die formalen Anforderungen die Kardinalfrage: „Unter der Prämisse der Wirtschaftlichkeit: In welchem konkretem Fall lohnt sich meine Teilnahme?“

Der Gastbeitrag des Leiters der Rechtsabteilung der adesso AG, Hr. Ass. Ulrich Kaden, befasst sich mit diesem Problem. Auch für Vergabestellen hält sein mathematisch gestützter Beitrag interessante Erkenntnisse bereit; er zeigt, wie sich die Wahl der Verfahrensart und der Aufwand auf Seiten der Bieter auf die zu erwartenden Preise auswirkt.

Optimale Wahl des Aufwands zur Angebotserstellung im Ausschreibungsverfahren

1 Einführung

(Ass. Ulrich Kaden*) Der Prozess zur Beschaffungen von Leistungen im öffentlichen Sektor unterscheidet sich erheblich von dem in der Privatwirtschaft. Ersterer ist – im Gegensatz zum letztgenannten – durch das gesetzlich geregelte Vergabeverfahren hinsichtlich der Formalien und der Bewertung der Angebote stark formalisiert. Dieses stellt für Teilnehmer am Verfahren bei der Erstellung von Teilnahmeanträgen und Angeboten vergleichsweise hohe Anforderungen.

Die Teilnahme am Wettbewerb erzeugt Aufwand, der mit Kosten verbunden ist, welche häufig vergeblich aufgewendet werden, falls formale Anforderungen nicht erfüllt werden oder das Angebot den Zuschlag nicht erhält, weil der Teilnehmer seine Leistungsfähigkeit bzw. die Qualität seines Angebots nicht hinreichend darstellen konnte.

Viele potenzielle Bewerber sind daher verunsichert, wann sich für sie die Beteiligung am Wettbewerb lohnt – genauer gesagt: wie viel Aufwand zu investieren im Einzelfall optimal für sie ist.

Zu dieser Frage werden in der folgenden Darstellung die grundlegenden Zusammenhänge untersucht und wichtige Entscheidungsregeln abgeleitet. Dazu wird im ersten Schritt ein einfaches Modell aufgestellt, das im Weiteren analysiert werden soll. Der Interpretation der Analyseergebnisse folgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse.

2 Modell

2.1 Annahmen

Idealtypischer Weise gelten die folgenden Annahmen:

Der bei der Beteiligung an Wettbewerb zu erwartende Gewinn (G) entspricht dem Auftragswert, der identisch ist mit dem vom Bieter aufgerufenen Preis (P) abzüglich der Kosten für die zu erbringenden Leistungen (K) und des Gesamtaufwands (A), der durch die Beteiligung am Ausschreibungsverfahren entsteht.

Der Gesamtaufwand A beinhaltet einem Grund- oder Mindestaufwand, der nötig ist, um allein die formalen Kriterien zu erfüllen und Angaben zu machen, welche im (öffentlichen) Verfahren nicht mit Leistungspunkten (L) bewertet werden. Sind die Kriterien nicht erfüllt, wird das Angebot vom Wettbewerb ausgeschlossen (bzw. im Falle eines Teilnahmewettbewerbs gar nicht erst zugelassen). Wie groß dieser Grundaufwand ist, richtet sich nach den tatsächlichen Umständen (Leistungsgegenstand, Verfahrensart, Inhalt & Qualität der Verdingungsunterlagen) und ist vom Bieter nur durch Steigerung seiner Effizienz bei der Erstellung seiner Teilnahmeanträge und Angebote beinflussbar. Zur Vereinfachung der Analyse wird im Folgenden nur der Aufwand zur Angebotserstellung mit Einfluss auf L betrachtet.

Ein wesentliches Merkmal für das öffentliche Vergabeverfahren ist die Pflicht zur Berücksichtigung des wirtschaftlichsten Angebots. Das Verfahren zu Feststellung der Wirtschaftlichkeit ist gesetzlich nicht bestimmt. Ein sinnvolles Vorgehen ist die Feststellung des Angebots mit dem besten Leistungs-/Preisverhältnis (L/P) gemäß UfAB.

Die Wahrscheinlichkeit der Zuschlagserteilung (W) ist für den Bieter ungewiss (im Gegensatz zur Entstehung des Aufwands A). Sie steht in Abhängigkeit von L/P. Es gilt 1 > W > 0.

L (genauer: die Anzahl der erreichten Leistungspunkte) wird durch A beeinflusst (zur Vereinfachung sei hier Aufwand = Kosten zur Angebotserstellung angenommen). Grund: Im Vergabeverfahren dürfen nur die im Angebot gemachten Angaben bewertet werden. L ist daher eine Funktion von A (L = L(A)). W ist eine Funktion von L(A)/P. Für L(A) ist realistischer Weise anzunehmen, dass eine abnehmende Grenzproduktivität besteht.

Die exogenen Variablen der Gleichung sind A und P.

Damit ergibt sich aus Sicht des teilnehmendes Unternehmens:

(1)  G = (P – K) * W(L(A)/P) – A

Das sich dem Bieter stellende Optimierungsproblem ist die Maximierung von G.

2.2 Analyse

2.2.1 Effekte der Veränderungen von A und P

Um die Auswirkungen einer Veränderung von A (dA) oder P (dP) zu untersuchen, wird zunächst das totale Grenzprodukt gebildet.

(2) dG = W * dP + (P – K) * ∂W/∂(L/P) * ∂(L/P)/∂P * dP +

(P – K) * ∂W/∂(L/P) * ∂(L/P)/∂L * ∂(L(A)/A) dA – dA

Vier Effekte sind bei einer Erhöhung von A und P auf G zu unterscheiden.

(Zur Erläuterung der Darstellung: (+) bzw. (-) unterhalb der Terme geben deren Vorzeichen an „} (+/-)“ steht für das Vorzeichen des Effekts insgesamt. Der Ablauf gibt schematisch die Auswirkung der Änderung einer exogenen Variablen wieder (ceteris paribus). ↑ bzw. ↓ bedeutet, dass der Wert der Variablen steigt (erhöht wird) bzw. sinkt, → bedeutet: „führt zu“.)


Effekt 1:
Umsatzeffekt (dP)

(2.1) W * dP    } (+)

Ablauf: P↑ → (W * (P – K))↑

Durch die Erhöhung von P würde der Bieter im Falle des Zuschlags einen höheren Preis für seine Leistung bekommen. Die Preiserhöhung multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit, den Zuschlag zu erhalten, ist der zusätzliche Gewinn durch diesen Effekt. Entsprechend führt eine Verringerung von P zu einer Abnahme des Gewinns.


Effekt 2:
Preiswettbewerb (dP)

(2.2) (P – K) * ∂W/∂(L/P) * ∂(L/P)/∂P * dP

(+)              (-)                   } (-)

Ablauf: P↑ → (L/P)↓ → W↓ → (W * (P – K))↓

Durch eine Erhöhung von P verringert sich das Leistungs-/Preis-Verhältnis, was dazu führt, dass die Wahrscheinlichkeit auf einen Zuschlag abnimmt. Der zu erwartende Gewinn (W * (P – K)) nimmt dadurch ab.


Effekt 3:
Leistungswettbewerb (dA)

(2.3) (P – K) * ∂W/∂(L/P) * ∂(L/P)/∂L * ∂(L(A)/A) dA

(+)              (+)             (+)               } (+)

Ablauf: A↑ → L↑ → (L/P)↑ → W↑ → (W * (P – K))↑

Ein Einsatz von Mehraufwand wirkt sich positiv auf die Zahl der erreichten Leistungspunkte aus. Dadurch steigt das Leistungs-/Preis-Verhältnis, was wiederum die Zuschlagswahrscheinlichkeit und damit den erwarteten Gewinn erhöht.


Effekt 4:
Kosteneffekt (dA)

(2.4) (-1) dA      } (-)

Der Mehraufwand verursacht Kosten, um welche sich direkt der zu erwartende Gewinn verringert.

2.2.2 Gleichgewicht

Bei der Lösung des sich ergebenden Optimierungsproblems lassen sich drei Grundfälle unterscheiden:

–    Das Modell bei reinem Preiswettbewerb

–    Das Modell bei reinem Leistungswettbewerb

–    Das Gesamtmodell


Modell mit reinem Preiswettbewerb

Im Falle der Beschaffung (nahezu) vollständig beschreibbarer, also marktüblicher (substituierbarer) Leistungen, hat der mit der Angebotserstellung verbundene Aufwand kaum Einfluss auf die qualitative Leistungsbewertung (also L). Dies lässt sich im Modell abbilden, indem A als nicht beinflussbare Größe angenommen wird (dA = 0).

Damit reduziert sich die Gleichung (2) auf:

(3) dG = W * dP + (P – K) * ∂W/∂(L/P) * ∂(L/P)/∂P * dP

Die Effekte 3 und 4 entfallen, und es entsteht ein reiner Preiskampf.

Das Gleichgewicht ist gefunden (dG = 0), wenn der positive Effekt 1 und der negative Effekt 2 sich genau ausgleichen.

Zu beachten ist, dass W bei einem reinen Preiskampf sehr sensibel also vollkommen elastisch auf Preisänderungen reagiert. Im Extremfall gilt W = 1 für P = P(min), sonst W = 0 (also 100-prozentige Zuschlagswahrscheinlichkeit für den besten Preis). Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Angebotspreis die Kosten zur Leistungserbringung nicht unterschreiten darf, da sonst G < 0 gilt. Nebeneffekte wie Kapazitäten, Auslastung, Werbewirksamkeit des Zuschlags und ähnliche werden dabei mit berücksichtigt. P = 0 kann also keine Lösung des Optimierungsproblems sein.

Es sind drei Fälle zu unterscheiden:

(3a) Alle Bieter haben die gleichen Kostenstrukturen

In diesem Fall werden alle Bieter die Leistung zu dem ihnen niedrigsten möglichen bzw. wirtschaftlich sinnvollen Preis anbieten. Dies ist der Preis, den die Bieter für die Leistung auch in anderer Verwendung erzielen können (P = (K + A), „volkswirtschaftlicher Null-Gewinn“ – im Folgenden jedoch aus einzelwirtschaftlicher Sicht).

(3b) Die Bieter haben verschiedene Kostenstrukturen, ihnen ist jedoch nur die eigene bekannt

Da die Bieter annahmegemäß nicht wissen, zu welchem Preis konkurrierende Bieter anbieten und W = 0 ist, wenn sie nicht den besten Preis anbieten, werden sie von vornherein den niedrigsten (also wirtschaftlich gerade noch sinnvollen) Preis aufrufen, der ihnen nach ihrer individuellen Kostenstruktur möglich ist, da sie diese Überlegung von ihren Konkurrenten ebenfalls erwarten. Das Vergabeverfahren lässt sich daher als „einstufige Auktion“ beschreiben.

(3c) Die Bieter haben verschiedene Kostenstrukturen und Kenntnis hierüber

In diesem Fall kann der Bieter mit der wirtschaftlichsten Kostenstruktur einen volkswirtschaftlichen Gewinn realisieren. Er wird knapp unter dem Preis des Bieters mit der nächstbesten Kostenstruktur anbieten. Damit erhält er den Zuschlag, kann aber einen höheren als den volkswirtschaftlichen Null-Gewinn realisieren (P > (K + A)).

Dieses Ergebnis ist für die ausschreibende Stelle (also einzelwirtschaftlich) wie gesamtwirtschaftlich nicht optimal. Die optimale Ressourcenallokation am Markt ist noch nicht erfolgt. Dies kann verschiedene Gründe haben, so z.B. Wettbewerbsvorteile auf Grund von Skaleneffekten, Nachfrageüberhang, Ungleichgewichte bei Neueröffnung von Märkten oder nach „Impacts“. Die Öffnung der Märkte durch das EU-Vergaberecht trägt grundsätzlich jedoch zur Verbesserung der Ressourcenallokation bei. Dies führt zu einer Angleichung der Kostenstrukturen.

Die Kenntnis der (genauen) Kostenstrukturen der konkurrierenden Bieter ist jedoch eine Voraussetzung, die in der Praxis eher selten anzutreffen ist. Dies gilt insbesondere, wenn man die Nebeneffekte wie Auslastung und das mit der Zuschlagserteilung verbundene Renommee – dessen Einschätzung eine eher subjektive und damit bei jedem Bieter unterschiedlich ist – mit berücksichtigt.


Modell mit reinem Leistungswettbewerb

In bestimmten Situationen ist eine Einflussnahme des Bieters auf den Preis praktisch ausgeschlossen – beispielsweise, wenn seine Kostenstruktur schlechter als die der Konkurrenz ist oder in der Ausschreibung eine entsprechende Obergrenze gesetzt wurde und er daher ohnehin nur zum Nullgewinn anbieten kann. Es gilt dann dP = 0.

Damit reduziert sich das Optimierungsproblem (2) auf:

(4) dG = (P – K) * ∂W/∂(L/P) * ∂(L/P)/∂L * ∂(L(A)/A) dA – dA

Im Gleichgewicht (dG = 0) gleichen sich die Effekte (3) und (4) aus. D. h. es lohnt sich solange „einen Euro an Mehraufwand“ zu investieren, solange der Effekt über die damit verbundene Erhöhung von W (also dW * (P – K)) größer als ein Euro ist. Wie viel Aufwand für den Bieter optimal ist, hängt neben der Marktsituation stark vom Zusammenhang zwischen A und L ab. Auf den Verlauf von L(A) hat die ausschreibende Stelle über die Wahl der Verfahrensart, die Ausgestaltung des Verfahrens sowie über Art und Umfang der verlangten Angaben entscheidenden Einfluss. Je weniger gut ein Verfahren vorbereitet ist, desto höher ist tendenziell der Aufwand für den Bieter.


Gesamtmodell

Im Modell mit A und P als exogene Variable stellt sich für die Bieter ein mehrdimensionales Optimierungsproblem, nämlich das gewinnbringendste Verhältnis zwischen A und P zu finden. Dies wird in der Praxis von den Funktionen W(L/P) und L(A) bestimmt, deren Verlauf von der jeweiligen Situation am Markt und dem Verhalten der Bieter sowie der Ausgestaltung des Vergabeerfahrens abhängig ist. Genauer gesagt, da bzw. wenn der einzelne Bieter sie nicht kennt, seine Erwartungen über den Verlauf der beiden Funktionen.

Die Lösung des Optimierungsproblems liegt im Gleichgewicht von

(2) dG = W * dP + (P – K) * ∂W/∂(L/P) * ∂(L/P)/∂P * dP +

(P – K) * ∂W/∂(L/P) * ∂(L/P)/∂L * ∂(L(A)/A) dA – dA = 0

Es ist gefunden, wenn A und P so gewählt sind, dass sich die Effekte (1) bis (4) gegenseitig ausgleichen.

Dass für das Optimierungsproblem unter realistischen Annahmen eine eindeutige Lösung existiert, sei hier an Stelle einer mathematischen Herleitung wie folgt erläutert. Nimmt man einen Ausgangspunkt, in dem A und P jeweils kleiner sind als im Gleichgewicht, so ließe sich durch eine Steigerung von P der Gewinn steigern. Der positive Effekt (1) überwiegt an dieser Stelle den negativen Effekt (2). Dies gilt so lange, bis sich beide Effekte ausgleichen. L/P ist nun kleiner als im Ausgangspunkt. Auch eine Steigerung von A wäre noch von Vorteil, da der positive Effekt (3) eine größere Wirkung hat als der negative Effekt (4). Mit der Erhöhung von A verbessert sich auch wieder das Verhältnis L/P. Dies hat zur Folge, dass der Effekt (2) geringer würde und P nun wieder erhöht werden kann, bis die Effekte (1) und (2) wieder im Gleichgewicht sind, wobei L/P wieder sinkt, was eine Erhöhung von A sinnvoll macht. Dieser Zusammenhang gilt so lange, bis sich durch eine Erhöhung von A oder P der Gewinn nicht mehr steigern lässt. Ähnlich lässt sich für jede beliebige Ausgangskombination von A und P argumentieren.

Der Umstand der Existenz einer eindeutigen Lösung liegt vor allem in der Annahme der abnehmenden Grenzproduktivität von L(A) begründet, weshalb sich L/P und damit W(L/P) nicht ohne Einfluss auf G konstant halten lässt. Der Effekt (3) geht mit steigendem A gegen Null, während die Kosten für A immer gleich stark, also linear steigen. Hingegen nimmt W gegenüber einem linear steigenden P überproportional ab, so dass die Effekte (1) und (2) in Summe bei hohem P schließlich negativ werden, was sich durch eine Steigerung von A gerade nicht ausgleichen lässt.

Es sind wiederum verschiedene Fälle zu unterscheiden:

(2a) P ist im Gleichgewicht unter Nullgewinn

Führt die Lösung des Optimierungsproblems zu einer P-A-Kombination, bei der P kleiner als der volkswirtschaftliche Nullgewinn ist, so wird der Bieter einen entsprechend höheren Preis anbieten (oder gar nicht anbieten), da er andernfalls einen Verlust machen würde.

In einem zweiten Schritt wird er dann A optimal wählen. Das Optimierungsproblem, das sich ihm stellt, ist das des Modells mit reinem Leistungswettbewerb. Zu beachten ist dabei, dass die Kosten zur Angebotserstellung nicht ohne Einfluss auf den Preis bleiben, sondern dieser mit A steigen muss. Zu berücksichtigen ist, dass die Bieter letztlich die Kosten der Beteiligung an sämtlichen Verfahren auf die Preise umlegen müssen, um keinen Verlust zu machen.

(2b) P liegt im Gleichgewicht über dem Nullgewinn

In diesem Fall kann der Bieter A und P so wählen, wie sie aus seiner Sicht optimal sind. Und er kann einen höheren als den volkswirtschaftlichen Null-Gewinn realisieren (P > (K + A)). Aus Sicht der ausschreibenden Stelle ist dies hingegen nicht optimal. Der „zu hohe“ Gewinn des obsiegenden Bieters zeigt, dass eine optimale Ressourcenallokation im Marktsegment der Beschaffung nicht besteht. Dies ist weder ein (aus Sicht der beschaffenden Stelle) einzelwirtschaftlich noch gesamtwirtschaftlich optimales Ergebnis. Gerade auf Grund des letztgenannten Umstandes ist dieser Fall jedoch als Ausnahme anzusehen bzw. als gesamtwirtschaftlich kurzfristiges Ergebnis. Ließe sich in einem Marktsegment tatsächlich ein höherer als der volkswirtschaftliche Null-Gewinn realisieren, so würde dies grundsätzlich ein volkswirtschaftliches Ungleichgewicht bedeuten und eine Ressourcenumverteilung durch Hinzukommen weiterer Anbieter würde stattfinden.

Zu beachten ist zudem, dass W je nach Ausgangslage sehr sensibel (vollkommen elastisch) auf Änderungen des L/P-Verhältnisses reagiert. Es gilt W = 1 für L/P = L/P(max), sonst W = 0 (also eine 100-prozentige Zuschlagswahrscheinlichkeit für das beste L/P-Verhältnis). Die Realisierung eines höheren als des volkswirtschaftlichen Null-Gewinns setzt damit voraus, dass der Bieter, der im Verfahren das Angebot mit dem besten L/P-Verhältnisses machen kann, sich dieses Umstands auch bewusst ist. Er wird dann ein L/P-Verhältnis realisieren, das knapp über dem nächstbesten liegt.

Diese Kenntnis wird aber in den seltensten Fällen vorhanden sein, zumal konkurrierende Bieter auch mit einem abweichenden Preis und dennoch mit demselben L/P-Verhältnisses anbieten können. Auch ist zu beobachten, dass bei den meisten Bietern eine hohe Risikoaversion bzgl. W besteht. Da sich für sie zudem der Angebotspreis meist besser kalkulieren lässt, als der optimale Aufwand zu Angebotserstellung, werden sie daher zur Lösung des Optimierungsproblems zunächst P möglichst niedrig festlegen und im zweiten Schritt A optimal festlegen. Im Ergebnis realisieren sie also wiederum den volkswirtschaftlichen Null-Gewinn.

2.3 Ergebnisse

Aus den dargestellten Zusammenhängen lassen sich folgende Grundregeln für die Bestimmung des optimalen Aufwands durch den Bieter ableiten:

(R.1) A ist von jedem Bieter für jedes Verfahren individuell zu bestimmen.

(R.2) Die Effizienz des geleisteten Aufwands ist ein Bestandteil von L(A). L ist damit vom Bieter durch interne Maßnahmen beeinflussbar.

(R.3) Je höher die Wahrscheinlichkeit für einen bestimmten Bieter ist, den Zuschlag erhalten zu können – ausgedrückt durch eine verhältnismäßig starke Reaktion von A über L auf W –, desto eher lohnt es sich für ihn, Aufwand zu investieren. Eine gute Aussicht, einen Wettbewerb zu gewinnen oder effiziente Prozesse zur Angebotserstellung, sind also gerade kein Argument für die Ersparnis von Aufwand.

Darüber hinaus gilt:

(R.4) P ist optimaler Weise grundsätzlich so zu wählen, dass der volkswirtschaftliche Nullgewinn realisiert wird.

Diese Regeln gelten unabhängig von der Risikoeinstellung des Bieters. Je nach Grad der Risikoaversion wird W zwar eine höhere Bedeutung zugemessen. Dies hat auf die hier gefundenen Ergebnisse jedoch keinen Einfluss.

(R.5) Das gesetzliche Vergabeverfahren bietet sich auf Grund der guten Ergebnisse auch zur Nutzung für privatwirtschaftliche Beschaffungsverfahren an.
Aus Sicht der ausschreibenden Stellen gilt:

(E.1) Die Beschaffung im gesetzlich geregelten Vergabeverfahren führt grundsätzlich zu einem sowohl gesamt- wie einzelwirtschaftlich optimalen Ergebnis. Abgesehen von Ausnahmefällen ist der Preis des im Wettbewerb obsiegenden Angebotes so bemessen, dass lediglich der volkswirtschaftliche Null-Gewinn realisiert wird. Die Gefahr, dass der Angebotspreis höher liegt, besteht tendenziell eher bei Beschaffungen komplexer Leistungen, bei denen der Bewertung der Leistungsqualität ein höheres Gewicht zukommt – aber auch hier nur in den oben beschriebenen (Ausnahme-)Fällen.

(E.2) L(A) und damit der optimal zu leistende Aufwand jedes Bieters ist von der ausschreibenden Stelle durch entsprechende Gestaltung des Verfahrens beeinflussbar.

(E.3) Auf diesem Wege sind auch die Angebotspreise durch die ausschreibende Stelle beinflussbar. Die Höhe von A findet letztlich in P seinen Niederschlag. Die ausschreibende Stelle kann sich also selber Kosten ersparen. Da ein Bieter aus wirtschaftlichen Gründen in P nicht nur die Kosten des gewonnenen, sondern aller Verfahren, an denen er beteiligt war, berücksichtigen muss, spart die beschaffende Stelle entsprechend viel ein. Es empfiehlt sich daher durch entsprechende Vorbereitung und geeignete Vorgaben im Verfahren, den Aufwand für die Bieter möglichst gering zu halten.

(E.4) Die Wahl einer komplexeren Verfahrensart zur Kompensation ersparten Aufwands bei der Verfahrensvorbereitung führt in mehrfacher Hinsicht zu suboptimalen, also im Sinne des Vergaberechts unwirtschaftlichen Ergebnissen.

(E.5) Es lohnt sich für die ausschreibenden Stellen, das gesetzlich vorgegebene Verfahren auch zu nutzen. Eine Individualabsprache kann nicht zu einem besseren Ergebnis als dem volkswirtschaftlichen Null-Gewinn führen, birgt jedoch das (hohe) Risiko eines deutlich schlechteren. Die Ersparnis effizient eingesetzten Aufwands zur Verfahrensvorbereitung wird so deutlich überkompensiert.

* Ulrich Kaden, Assessor jur., Diplom-Kaufmann, Diplom-Volkswirt. Leiter der Rechtsabteilung der adesso AG. Sitz, Berlin.

Neben den Aufgaben eines leitenden Justiziars liegt der Schwerpunkt seiner Tätigkeit in der interdisziplinären Prozessoptimierung und der Beratung bei öffentlichen Ausschreibungen, einschließlich Vergaberecht. Zuvor Unternehmensberater für IT- und Management-Beratung. Zuvor wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich privates und öffentliches Wirtschaftsrecht. Geboren 1969 in Lüneburg.

Die Erstveröffentlichung dieses Beitrags erfolgte im VergabeNavigator, einer Zeitschrift, die praxisgerecht die gängigen Arbeitsabläufe bei der Vergabe öffentlicher Aufträge beschreibt und typische Probleme Schritt für Schritt erläutert. Nr./Page: 6/12