Was sind Nachträge im Vergaberecht?

Wann sind Nachträge auszuschreiben und wann können sie ausschreibungsfrei vergeben werden? Wir geben einen Überblick zum Thema Nachträge im Vergaberecht, zum Bekanntmachungserfordernis sowie zum Kündigungsrecht.

Mit Inkrafttreten der Vergaberechtsreform wurde auch die ausschreibungsfreie Vergabe von Nachträgen an den bisherigen Auftragnehmer in Umsetzung der wesentlichen Leitlinien der hierzu ergangenen Spruchpraxis beziehungsweise Rechtsprechung kodifiziert und konkretisiert. Die geltenden Regelungen haben eine besondere Bedeutung, weil sie auch bereits bestehende und nach dem „alten“ Vergaberecht gefasste Verträge betreffen.

I. Nachträge: Wann muss ausgeschrieben werden – und wann nicht?

Am 18.04.2016 ist das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz in Kraft getreten, welches die neuen Vergaberichtlinien der Europäischen Union im deutschen Recht verankert. In diesem Gesetz wird die ausschreibungsfreie Vergabe von Nachträgen an den bisherigen Auftragnehmer in stärkerer Weise formalisiert. Dies ist auch in bereits bestehenden Verträgen von allen öffentlichen Auftraggebern und ihren Auftragnehmern zu beachten.

Keinen Beitrag mehr verpassen? Jetzt für unseren Newsletter anmelden und Themen auswählen

Ihre Anmeldung konnte nicht gespeichert werden. Bitte versuchen Sie es erneut.
Ihre Anmeldung war erfolgreich.

1. Der Grundsatz: Wesentliche Änderungen sind auszuschreiben

§ 132 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) geht von dem Grundsatz aus, dass wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit grundsätzlich ein neues Vergabeverfahren erforderlich machen. Wesentlich ist eine Änderung insbesondere dann, wenn u.a.

  • durch die Änderung Bedingungen geschaffen werden, die bei Geltung in der Ausschreibung die Annahme eines anderen Angebots, die Zulassung anderer Bewerber/Bieter gestattet oder das Interesse weiterer Unternehmen geweckt hätten (§ 132 Abs. 1 Nr. 1 lit. a-c) GWB);
  • das wirtschaftliche Gleichgewicht zugunsten des Auftragnehmers in einer Weise verändert wird, die ursprünglich nicht vorgesehen war (§ 132 Abs. 1 Nr. 2 GWB) oder
  • der Umfang des ursprünglichen Auftrages wesentlich ausgeweitet wird (§ 132 Abs. 1 Nr. 3 GWB).

Eine solche Änderung darf mithin nicht kurzerhand mit dem bisherigen Auftragnehmer
verhandelt werden.

Das Gesetz sieht Ausnahmen vom Verbot wesentlicher Änderungen ohne neues Ausschreibungsverfahren vor. Abgesehen von in der ursprünglichen Ausschreibung ganz exakt hinsichtlich Art und Umfang beschriebener Optionen (die allgemeinen Anordnungsbefugnisse nach den Regeln der VOB/B bzw. VOL/B genügen nicht) werden die Ausnahmetatbestände gegenüber dem bisherigen Recht geschärft und an zusätzliche Maßgaben geknüpft.

2. Nachträge im Fall von Zusatzaufträgen, die nicht sinnvoll getrennt werden können

Eine der zentralen und in der Praxis bedeutsamsten Ausnahmen sieht § 132 Abs. 2 Nr. 2 GWB für „zusätzliche Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen“ vor, die im Nachgang erforderlich werden und nicht in den ursprünglichen Vergabeunterlagen vorgesehen waren. Diese Ausnahme greift nur ein, wenn ein Wechsel des Auftragnehmers

  • aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen nicht erfolgen kann und
  • mit erheblichen Schwierigkeiten oder beträchtlichen Zusatzkosten für den
    öffentlichen Auftraggeber verbunden wäre.

Eine derartige vergaberechtsfreie Nachtragsbeauftragung darf den Preis insgesamt um nicht mehr als 50 % des Wertes des ursprünglichen Auftrags erhöhen. Diese Wertgrenze gilt jedoch immer wieder neu für jeden einzelnen Nachtrag. Die Wertgrenzen gelten im Sektorenbereich nicht (§ 142 Nr. 3 GWB).

3. Nachträge bei unvorhersehbar notwendig gewordenen Änderungen

Eine weitere Ausnahme sieht § 132 Abs. 2 Nr. 3 GWB für Änderungen vor, die aufgrund von Umständen erforderlich geworden sind, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht nicht vorhersehen konnte und sich hierdurch der Gesamtcharakter des Auftrages nicht verändert. Auch hier gilt die Wertgrenze von 50% für jede einzelne Änderung.

II. Bekanntmachung von Nachträgen

1. Zusatzaufträge müssen regelmäßig bekannt gemacht werden

Derartige Nachtragsbeauftragungen muss der öffentliche Auftraggeber nunmehr gem. § 132 Abs. 5 GWB grundsätzlich im Amtsblatt der Europäischen Union bekanntmachen. Der Inhalt dieses Bekanntmachungsformulars wird in Anhang V der Vergaberichtlinie 2014/24/EU unter Teil G geregelt:

In der Bekanntmachung ist der Auftrag vor und nach der Änderung zu beschreiben,

  • Art und Umfang der Leistungen, Lieferungen bzw. Bauleistungen sind
    anzugeben und ebenso
  • die etwaige durch die Änderung bedingte Preiserhöhung;
  • außerdem müssen die Umstände beschrieben werden, die die Änderung erforderlich gemacht haben.

Von diesem Bekanntmachungserfordernis darf nur bei Nachträgen abgewichen werden, die insgesamt zusammengerechnet unterhalb der Schwelle von 15% des ursprünglichen Auftragswertes bei Bauaufträgen bzw. 10% bei Liefer- oder Dienstleistungsaufträgen bleiben (§ 132 Abs. 3 GWB).

2. Bekanntmachung soll Überprüfung ermöglichen

Das Bekanntmachungserfordernis in § 132 Abs. 5 GWB muss im Zusammenhang mit § 135 GWB gelesen werden. Nach dieser Vorschrift ist ein Auftrag, der ohne die Durchführung eines Vergabeverfahrens direkt vergeben wird, und ohne dass dies auf Grund eines Gesetzes gestattet wäre, von Anfang an unwirksam. Unwirksam wäre also etwa ein Nachtrag oberhalb der Bagatellschwelle des § 132 Abs. 3 GWB, der auf einen der vorgenannten Ausnahmetatbestände gestützt wird, ohne dass deren Voraussetzungen vorliegen – etwa weil der Zusatzauftrag doch trennbar ist oder die Änderung bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt vorhersehbar gewesen wäre.

Die Unwirksamkeit muss allerdings in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt werden. Um Konkurrenzunternehmen die Möglichkeit zu geben, derartige Nachprüfungsverfahren einzuleiten, wurde das Bekanntmachungserfordernis in § 132 Abs. 5 GWB angeordnet.

Konkurrierende Unternehmen haben danach 30 Kalendertage nach der Bekanntmachung Zeit, in einem Nachprüfungsverfahren die Nichtigkeit der Nachtragsbeauftragung feststellen zu lassen.

3. Auftraggeber kann auch vorab bekannt machen

Will der öffentliche Auftraggeber schneller Klarheit darüber erlangen, muss er gem. § 135 Abs. 3 GWB vorgehen und seine Absicht, einen entsprechenden Nachtragsauftrag zu erteilen, im Amtsblatt der Europäischen Union vorab bekanntmachen.

Wird dann nicht innerhalb von 10 Tagen nach Veröffentlichung dieser Vorabbekanntmachung dagegen ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet, kann die Unwirksamkeit nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht mehr eintreten.

III. Kündigungsrecht des Auftraggebers

Schließlich ist auf das Kündigungsrecht des § 133 GWB hinzuweisen. Die öffentlichen Auftraggeber können einen öffentlichen Auftrag während der Vertragslaufzeit kündigen, wenn eine wesentliche Änderung vorgenommen wurde, die nach § 132 GWB ein neues Vergabeverfahren erfordert hätte (§ 133 Abs. 1 Nr. 1 GWB). Gekündigt werden kann und muss dann aber nur der gesamte Vertrag.

Wird ein öffentlicher Auftrag nach dieser Vorschrift gekündigt, kann der Auftragnehmer einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen. Ansprüche auf Schadenersatz regelt das GWB nicht.

IV. Nachträge im Vergaberecht: Hinweise für die Praxis

Die bisherige Praxis, Nachträge zunächst „dem Grunde nach“ zu beauftragen, danach die zu Grunde liegenden Leistungen auszuführen oder ausführen zu lassen und sich erst im dritten Schritt über die hierfür zu zahlende Vergütung zu einigen, kann nicht aufrechterhalten werden, wenn absehbar die Bagatellschwelle des § 132 Abs. 3 BauGB überschritten wird.

Aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers ist zunächst eine Einigung auch über den Preis erforderlich, um dem Veröffentlichungsgebot des § 132 Abs. 5 GWB nachkommen zu können. Rechtssicherheit tritt außerdem für den öffentlichen Auftraggeber erst ein, wenn nach seiner Vorabbekanntmachung oder nach der nachträglichen Bekanntmachung gem. § 132 Abs. 5 GWB von dritter Seite kein Nachprüfungsverfahren eingeleitet wurde. Ohne diese Rechtssicherheit läuft der öffentliche Auftraggeber Gefahr, bezüglich des Nachtrages jegliche Gewährleistungsansprüche zu verlieren, wenn die Beauftragung des Nachtrages für unwirksam erklärt wird.

Auch Auftragnehmern kann nicht empfohlen werden, Nachträge auszuführen, ohne dass das oben beschriebene Procedere eingehalten wurde. Anderenfalls laufen sie Gefahr, von dem öffentlichen Auftraggeber oder einer Nachprüfungsinstanz nachträglich zu erfahren, dass eine entsprechende Nachtragsbeauftragung rechtswirksam überhaupt nicht möglich ist oder nachträglich gekündigt werden darf. Führt ein Auftragnehmer die Leistungen vor einer rechtsgültigen Nachtragsbeauftragung aus, bindet er sich u.U. bei Nachunternehmern bzw. Zulieferern in großem Umfang, wird aber in seinem Vergütungsanspruch im Fall der Kündigung nach § 133 GWB auf den seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil beschränkt.

Wird die Nachtragsbeauftragung für unwirksam erklärt, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nrn. 2 oder 3 GWB nicht vorgelegen haben, erlangt der Auftragnehmer keinen vertraglichen Vergütungsanspruch, da die Unwirksamkeit den Vertrag von Anfang an erfasst; der Auftragnehmer ist hier auf Ausgleichsansprüche nach dem Recht der „ungerechtfertigten Bereicherung“ (= bloßer Wertausgleich) beschränkt.

Für alle Beteiligten ist also gleichermaßen eine unbedingte Einhaltung der genannten Vorgaben, d.h. einerseits der materiellen Nachtragsanforderungen bei Verzicht auf eine Neuausschreibung und andererseits der Wahrung des Bekanntmachungserfordernisses von großer Bedeutung.

Den Beitrag finden Sie als Download unter diesem Link: Behandlung von Nachträgen nach VergRModG.

V. Über CBH

1963 in Köln gegründet zählt die Kanzlei CBH mit rund 70 Berufsträgern und insgesamt etwa 135 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu den 50 größten Kanzleien in Deutschland. Der Fokus liegt auf fünf strategische Schwerpunkten des Wirtschafts- und Verwaltungsrechts.

Prof.-Dr.-Stefan-Hertwig

Leiter der Praxisgruppe Vergaberecht ist Prof. Dr. Stefan Hertwig, der auf dem Gebiet des öffentlichen Wirtschaftsrechts spezialisiert ist, mit besonderen Schwerpunkten im Vergaberecht und im europäischen Beihilferecht. Weitere Informationen und Kontaktdaten finden Sie hier.